Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
Vom Netzwerk:
natürlich den Untergang eines sehr sichtbaren Beispiels des Gemeinschaftslebens nach sich. Die Mönche lebten, arbeiteten, aßen und beteten gemeinsam, und ihre Lebensweise folgte freiwilligen Prinzipien, nach denen gegenseitige Hilfe wichtiger war als das Verdienen von Geld. Aber die Mönche schirmten sich keineswegs gegen alle Welt ab, sondern lebten Seite an Seite mit dem Laienvolk und waren oft dessen Gutsherren.
    Es war die neue Isolation, die Trennung des Menschen vom Menschen, die Wordsworth in seinem Präludium beklagte. Das plötzliche Interesse der romantischen Dichter an der Natur und am Menschen kam zu einem Zeitpunkt auf, als die alten Bräuche durch den individualistischen Geist der industriellen Revolution ausgelöscht wurden.
    Heute verbarrikadieren wir uns in städtischen Einzelwohnungen und streiten uns auf winzigen Flächen miteinander. »Nun fahren wir also zurück in unsere einsamen, egoistischen kleinen Wohnungen«, sagte mein Freund Marcel eines Sonntagabends, als eine Gruppe von uns nach einem Wochenende, an dem wir gemeinsam ein Landhaus gemietet hatten, in die Londoner City zurückkehrte. Es ist eine Binsenweisheit, dass wir unsere Nachbarn in vielen Fällen nicht mehr kennen. Dabei hat die Tatsache, dass Menschen von einem Ort der Welt zum anderen ziehen, etwas Großartiges. Wenn ich durch die Uxbridge Road in London gehe, bemerke ich Somalier und Inder, die einfach nur herumhängen und sich in Gruppen miteinander unterhalten. Sie sitzen außerhalb ihrer Läden oder vor ihren Verkaufsständen auf dem Markt. Die meisten weißen Mittelbürger hasten an dieser Szene vorbei, um in die Sicherheit ihrer mit Alarmanlagen versehenen Reihenhäuser zurückzukehren. Wir haben den lockeren Kameradschaftsgeist verloren, und es ist ein Glück, dass Menschen aus anderen Kulturen in unsere Städte gezogen sind und vor unserer Nase eine humanere und unterhaltsamere Lebensart demonstrieren.
    Das Leben ist leichter, wenn man es mit anderen teilt. Gäste sind etwas Wunderbares. Sie unterhalten uns, sie bringen Wein und Käse mit, und ihre Kinder spielen mit unseren. Wir besprechen unsere Probleme; die Frauen beschweren sich über die Männer, und die Männer beschweren sich über die Frauen. Lasten werden leichter, wenn man sie teilt.
    Es ist die puritanische Ablehnung des Frohsinns, die uns zu Übertreibungen verleitet, wonach wir uns durch Schuldgefühle und Enthaltsamkeit bestrafen müssen. Die historischen Gründe für diese Spaltung liegen auf der Hand. Die Gesellschaft hat den Menschen nicht nur vom Menschen getrennt, wie Wordsworth schrieb, sondern den Menschen auch innerlich gespalten. Wir sind sogar in uns selbst einsam und isolieren uns. Wenn dieser innere Antagonismus und all die Energie, die er verschwendet, in frohe Harmonie umgewandelt werden könnten, dann wären wir zu allem imstande, was wir uns wünschen. Die Schlacht zwischen dem neuen Streben nach Ordnung, Disziplin und Nüchternheit und der alten Hinnahme des Schicksals und dem guten Leben wird in Shakespeares Was ihr wollt dramatisiert, nämlich in der Auseinandersetzung zwischen dem frommen Puritaner Malvolio und dem sinnenfreudigen Sir Toby Belch. Max Weber schreibt, diese Schlacht sei entscheidend für das Verständnis der Engländer:
    Durch die englische Gesellschaft der Zeit seit dem siebzehnten Jahrhundert zieht sich der Zwiespalt zwischen der »Squirearchie«, der Trägerin des »fröhlichen alten England«, und den in ihrer gesellschaftlichen Macht stark schwankenden puritanischen Kreisen. Beide Züge: der einer ungebrochenen naiven Lebensfreude und der einer streng geregelten und reservierten Selbstbeherrschung und konventionellen ethischen Bindung stehen noch heute im Bilde des englischen »Volkscharakters« nebeneinander.
    Ja, die beiden Elemente wetteifern in unserem Innern. Aber der puritanische Zug dominiert nun schon so lange, dass es wieder Zeit wird, mit anderen zu leben, zu essen und zu trinken. Wir sind gesellige Wesen, und es ist gefährlich, sich diese Geselligkeit zu versagen. Die Fährnisse des Lebens sind einfach leichter zu ertragen, wenn wir ihnen als Gruppe gegenübertreten. Daher das Gildensystem und die großen Haushalte des Mittelalters. In manchen modernen Unternehmen erinnert man sich vermutlich an solche Verhältnisse, denn man versucht, die »Markenloyalität« zu fördern, und führt Team-Bonding-Tage für das Personal durch. Aber innerhalb der bestehenden Strukturen gibt es keine echte Freiheit.
    Noch

Weitere Kostenlose Bücher