Die Kunst, frei zu sein
Geld zu lösen. Dazu übertragen wir Experten die Betreuung unserer Kinder. Frauen kreischen: »Ich bin solch eine schlechte Mutter.« Väter stiefeln mürrisch durchs Haus und brüllen ihre Kleinkinder an. Und warum? Weil wir völlig hilflos sind. Die Haushalte sind zu klein, und wir haben keine Manieren. Lass die Kinder für dich arbeiten, das ist mein Rat! Aber da ohnehin alles vergeblich ist, spielt es keine Rolle, was du tust. Die Kinder werden schon ihren Weg finden. Also zerbrich dir nicht weiter den Kopf.
LASS DIE KINDER
IN RUHE
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Entwaffne den Schmerz
Der größte Beitrag von GSK zur Gesellschaft besteht
in der Entdeckung und Entwicklung von Medikamenten,
die Menschen helfen, mehr zu tun, sich wohler zu fühlen
und länger zu leben.
Website von GlaxoSmithKline
Das Leben, stets voller Schmerz, ist schmerzhafter in unserer
Zeit als in den vorangegangenen beiden Jahrhunderten.
Der Versuch, dem Schmerz zu entfliehen, treibt die Menschen
zur Trivialität, zur Selbsttäuschung, zur Erfindung mächtiger
kollektiver Mythen. Aber diese kurzfristigen Linderungen
haben nur zur Folge, dass sich die Ursachen des Leides
auf lange Sicht verstärken.
Bertrand Russell, »›Useless‹ Knowledge«, 1935
Schmerz bedeutet Profit – das wäre in einer ehrlicheren Gesellschaft die Parole des Pharmamonsters GlaxoSmith- Kline, denn die ungeschminkte Wahrheit lautet: Je mehr Schmerzen du hast, desto mehr Tabletten wirst du nehmen, und desto rascher wird der Aktienkurs von GSK steigen. Und je mehr Schmerzen es auf der Welt gibt, desto höher ist der Profit. Also ist es ein logischer Schritt, Schmerzen zu erzeugen und Elend, Depression und bipolare Störungen zu verursachen, um die Lösung für all den Jammer verkaufen zu können. Neue Störungen schaffen neue Märkte. Und genau das scheint sich abzuspielen. Wir werden durch langweilige Arbeit, plärrende Fernsehgeräte und unerfüllbare Wünsche unterdrückt. Es gibt eine großartige Installation von Damien Hirst mit dem Titel Looking Forward to the Total and Absolute Suppression of Pain (In Erwartung der totalen und absoluten Ausschaltung des Schmerzes): Vier Fernsehgeräte strahlen gleichzeitig und ohrenbetäubend laut vier verschiedene Werbespots für Ibuprofen, Solpadeine und andere Kopfschmerztabletten aus. Die Lösungen für den Schmerz sind genau die Dinge, die ihn überhaupt erst haben entstehen lassen. Dasselbe System, das den Schmerz verursacht, verspricht, ihn zu beseitigen.
Das Ziel einer völligen Ausschaltung des Schmerzes, das nie erreicht wird, lässt hohe Gewinne entstehen. Der Chef von GlaxoSmithKline, Jean-Pierre Garnier, bezieht ein Jahresgehalt (Bonus eingeschlossen) in Höhe von 4,5 Millionen Dollar. Zudem leistet das Unternehmen jährlich gewaltige Beiträge zu seiner Altersversorgung, und natürlich besitzt er ein enormes Aktienpaket. Als ob das nicht genügte, sollte er im Jahr 2003 eine Prämie von 22 Millionen Dollar erhalten, doch der Antrag wurde von anderen Aktionären niedergestimmt. Der Jahresumsatz von GSK beläuft sich auf 20 Milliarden Pfund und sein Gewinn auf 6,1 Milliarden Pfund. Ein großer Teil des Gewinns wird durch das Antidepressivum Bupropion erwirtschaftet.
Von den 100000 Angestellten sind 40000 in Verkauf und Marketing tätig. Daneben verfügen die großen Pharmaunternehmen über eine mächtige Schar von »unbezahlten«Verkäufern in Gestalt der Hausärzte. Sie verschreiben Amoxicillin und Bupropion im Handumdrehen. Der CEO von GSK hat übrigens eine verblüffende Ähnlichkeit mit Mr. Burns in den Simpsons. Ein neues Mitglied der Firmenleitung ist Sir Chris Gent, der im Dienst des schäbigen Handy-Hökers Vodafone ein Vermögen gemacht hat.
Die oben zitierte Losung von GSK ist recht kennzeichnend für den deprimierenden Ehrgeiz des modernen Menschen: »Mehr tun, sich wohler fühlen, länger leben.« Abgesehen davon, dass es sich dabei um verschwommene, inhaltslose Begriffe handelt, ist ihr Mangel an Leidenschaft für das Leben äußerst beunruhigend. »Mehr tun« – als wäre das Tun an sich etwas Gutes und mehr davon etwas noch Besseres. Wird auf der Welt nicht schon allzu viel »getan«? Die vernünftige Reaktion auf eine Welt, in der Einmischungen schreckliche Gesundheits- und Umweltprobleme hervorgerufen haben, würde doch darin bestehen, weniger statt mehr zu tun. Warum ist »mehr tun« schon an sich ein lohnendes Ziel? Hitler und Stalin »taten mehr«, doch offenkundig wäre es weitaus besser gewesen, wenn sie weniger
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