Die Kunst, frei zu sein
getan hätten. »Sich wohler fühlen« – darin steckt der Wille, Schmerzen zu unterdrücken. Sie gelten als Hindernis für das »Tun«, während ich sie für eine willkommene Möglichkeit halte, ein paar Stunden oder Tage lang nichts zu tun. Sollten wir uns, wenn wir krank werden, nicht einfach ins Bett legen, mit einem Stapel Bücher und etwas Obstsalat neben uns? Und »länger leben« bereitet ein weiteres Problem. Lebensqualität ist der Lebensquantität geopfert worden. Das neue Ziel heißt offenbar, so lange, nicht so gut wie möglich zu leben.
Der Bericht des GSK-Chefs enthält eine seltsame Mischung aus Prahlerei über Profite und Prahlerei über die guten Absichten des Unternehmens. Die Welt der Tabletten, das moderne Sakrament, ist überwältigend und erschreckend. Die Korruption der mittelalterlichen katholischen Kirche ist nichts gegen die unvorstellbaren Gewinne und Gaunereien der globalen Hausierer mit Schlangenöl und Gift, die auf ihrer ruhelosen Suche nach Wachstum immer neue Märkte erobern.
Ich habe die durch Schmerzen entstehenden Gewinne lediglich in der Hoffnung skizziert, dass es leichter ist, uns der Schmerzen zu entledigen, wenn wir begreifen, dass ihre Erzeugung nützlich für das Profitsystem ist. Also kommt es einer Rebellion gleich, wenn wir uns unseres Lebens freuen und glücklich sind.
Die Angst vor Schmerzen kann das Leben beeinträchtigen und könnte sogar als Lebensfurcht gesehen werden, da Leben Schmerz ist. Deshalb wäre es sinnvoll, Schmerz und Not zu akzeptieren. Einer von Damien Hirsts Partytricks ist der, einen der Gäste zu fragen, was dieser am Leben liebe. »Äh, ich bin mir nicht sicher«, ist die übliche Antwort. Dann erklärt Damien: »Ich liebe alles daran.« Er liebt alles, die Höhen und die Tiefen. Er ist kein Anhänger des perfektionistischen Ideals einer Welt ohne Schmerz und Leid. Das Leben ist Schmerz und Not. Jeder Höhe scheint sich eine Tiefe anzuschließen. Wie der düstere Robert Burton schreibt:
In einer Notlage ersehnen wir gedeihliche Umstände, und treten sie ein, fürchten wir uns vor der Not. … In welcher Lebenslage sind wir wirklich frei? Die Weisheit geht mit Anstrengung einher, der Ruhm mit Neid; Reichtum und Sorgen, Kinder und Belastungen, Freuden und Krankheit, Ruhe und bittere Armut sind untrennbar, und deshalb behaupten die Platoniker, der Mensch trete ins Leben, als solle er damit für vormalige Sünden bestraft werden.
Ob es möglich ist, sich über Schmerz zu freuen? Das scheint im Mittelalter der Fall gewesen zu sein, als die Menschen geradezu in ihrem Kummer schwelgten. Das Leben wurde mit einer Intensität gelebt, die wir rationalen Republikaner nur schwer nachvollziehen können. In Herbst des Mittelalters beschreibt Huizinga den leidenschaftlichen Geist, der die Menschen damals veranlasste, eine ganze Nacht lang Schlange zu stehen, um einen Prediger zu hören, dessen aufrührende Worte die gesamte Gemeinde am Morgen heulend und schluchzend aus der Kirche wanken ließen. Außerdem gab es die Flagellanten des dreizehnten Jahrhunderts, die sich absichtlich Schmerz zufügten, um dessen mystische Wirkung zu erfahren. Sie lieferten eindrucksvolle Spektakel, und ihre Schmerzen hatten positive Folgen, wie Norman Cohn berichtet:
Die volkreichen italienischen Städte bildeten den ersten Schauplatz organisierter Geißlerzüge, die sich, 1260 von einem Einsiedler Perugias ins Leben gerufen, mit so verblüffender Schnelligkeit südwärts nach Rom und nordwärts über die lombardischen Städte verbreiteten, dass sie den Zeitgenossen wie eine plötzliche Bußepidemie erschienen. Zumeist von Priestern geführt, zogen Männer, Jünglinge und Knaben Tag und Nacht mit Bannern und brennenden Kerzen von Stadt zu Stadt, um sich in jeder Stadt, die sie passierten, gruppenweise vor der Kirche aufzustellen und sich stundenlang zu geißeln. Die Wirkung, die diese öffentliche Buße auf die breite Bevölkerung ausübte, ging tief. Verbrecher beichteten, Räuber erstatteten ihre Beute und Wucherer den für Darlehen genommenen Zins zurück; Streitigkeiten wurden vergessen, und Feinde versöhnten sich.
Öffentlicher Schmerz führte zu positiven Ergebnissen für die Gemeinschaft. Ich vermag mir nicht vorzustellen, dass sich so etwas in unserer schmerzfeindlichen Gesellschaft abspielen könnte. Nietzsche war der Meinung, die Ablehnung von Leid und Schmerz sei die Verneinung des Lebens selbst. In Ecce homo schreibt er:
Ich sah zuerst den eigentlichen
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