Die Kunst, frei zu sein
Gegensatz: den entartenden Instinkt, der sich gegen das Leben mit unterirdischer Rachsucht wendet (Christentum, die Philosophie Schopenhauers, in gewissem Sinne schon die Philosophie Platos, der ganze Idealismus als typische Formen), und eine aus der Fülle, der Überfülle geborene Formel der höchsten Bejahung, ein Jasagen ohne Vorbehalt, zum Leiden selbst, zur Schuld selbst, zu allem Fragwürdigen und Fremden des Daseins selbst …
Laut Nietzsche ist es das Neinsagen, die Verdrängung alles Unangenehmen, Schmerzhaften und Schwierigen, die unserem Leben die Farbe raubt. Sogar Grausamkeit sei Teil einer gewissen Lebensfreude:
Jedenfalls ist es noch nicht zu lange her, dass man sich fürstliche Hochzeiten und Volksfeste größten Stils ohne Hinrichtungen, Folterungen oder etwa ein Autodafé nicht zu denken wusste, insgleichen keinen vornehmen Haushalt ohne Wesen, an denen man unbedenklich seine Bosheit und grausame Neckerei auslassen konnte.
In modernen Augen ist ein solches Benehmen unglaublich brutal, doch Nietzsche meint beschwichtigend: »Vielleicht tat damals – den Zärtlingen zum Trost gesagt – der Schmerz noch nicht so weh wie heute.«
Vor einiger Zeit befand ich, dass es vernünftig sein könnte, die Mühsal nicht zu vermeiden, sondern sie zu akzeptieren. Es mag seltsam klingen, wenn so etwas aus der Feder eines Müßiggängers kommt, aber könnte die Hinnahme von Mühsal nicht den Weg zur Freiheit weisen? Zum Beispiel dachte ich kürzlich daran, mir einen zugigen alten Landrover anstelle meines alten, luxuriösen amerikanischen Lieferwagens zu kaufen – zum Teil deshalb, weil man im Landrover stärker den Elementen ausgesetzt ist. Auch die Freuden des Holzfeuers sind ganz besonders intensiv, wenn du gerade draußen im Schnee gewesen bist und die Scheite gehackt hast. Ein solches Vergnügen bleibt Leuten mit Fußbodenheizung versagt. Genau das gefiel den Menschen des Mittelalters: der harsche Kontrast zwischen Mühsal und Freude.
Auf manche Schmerzen kann ich allerdings verzichten, und dem Himmel sei Dank für Ibuprofen, wenn wirklich starke Kopfschmerzen ausbrechen (allerdings ist die Wirkung die gleiche, wenn man sich für ein paar Stunden ins Bett legt). In einer weniger arbeitsorientierten Epoche – unbestreitbar im Mittelalter – hätte man vielleicht die Möglichkeit gehabt, sich bei Kopfschmerzen einfach hinzulegen, statt eine Tablette schlucken und weiterarbeiten zu müssen. Damals hatte man mehr Zeit, sich zu erholen. Alles lief langsamer. Aber auch damals gab es schon Schmerzmittel, das heißt Volksarzneien, Kräuter und so weiter. Darüber spottet man heute, aber wem dient der Hohn? Die Spötter sind bloß Opfer des kapitalistischen Projekts. Wenn du dich über die frei zugänglichen Arzneien lustig machst, die dich aus den Hecken geradezu anspringen, kommst du nur denen entgegen, die wollen, dass du Unsummen für ihre in der Fabrik hergestellten Quacksalberprodukte ausgibst. Jedenfalls ist die Kunst des Arztes die gleiche wie immer: die Unterhaltung des Patienten, während der Körper sich selbst heilt. Placebos sind – ich wiederhole – möglicherweise so wirkungsvoll und zweifellos weniger schädlich als die wirklichen Medikamente, solange du deinem Arzt oder deiner Ärztin vertraust und ihnen eine gewisse Zauberkraft nicht absprichst. Viele moderne Medikamente sind nichts als teurer und gefährlicher Unfug.
Wir werden immer Schmerzen haben. Leb mit ihnen. Statt Energie für die Beseitigung von Schmerzen aufzuwenden, sollten wir diese Energie in die Schaffung von Freude stecken. Freude für dich selbst und für deine Umgebung. Sex, Musik, Tanz, Bier und Wein, gute Gesellschaft, gute Arbeit, Fröhlichkeit – das sind die Mittel gegen den Schmerz, und sie sind natürlich nur Freuden, weil wir den Schmerz kennen. Ohne ihn gäbe es keine Freude.
AKZEPTIERE DIE MÜHSAL
22
Hör auf, dich um deine Rente
zu sorgen; lebe
Die Menschheit weiß überhaupt nichts.
Nichts hat einen immanenten Wert, und jede
Handlung ist nichtig, bedeutungslos.
Masanobu Fukuoka,
The One-Straw Revolution, 1978
In den alten Zeiten bezeichnete das Wort »Pension« eine Summe, die ein Wohltäter einer Person alljährlich in Anerkennung öffentlicher Dienste auszahlte. Zum Beispiel wurde Dr. Johnson im Jahr 1762 eine Pension in Höhe von 300 Pfund durch König Georg III. gewährt. Diese Jahresrente war in erster Linie ein Dank für sein großartiges Dictionary of the English Language und an keine Bedingungen
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