Die Kunst, frei zu sein
entfernt. Wenn ich die Energie aufbringe, den Fernsehapparat abzuschalten, jammern sie ein paar Minuten lang, aber dann passen sie sich der Situation an. Bald spielen sie gemeinsam oder zeichnen oder bauen etwas Fantastisches aus alten Pappkartons.
Ratsam ist es auch, die Familie in kleinere Gruppen zu spalten. Dadurch kann die Spannung entschärft werden. Meiner Erfahrung nach benehmen die Kinder sich vorbildlich, wenn sie mit mir allein sind. Sie haben meine ganze Aufmerksamkeit, da ich nicht versuche, mit Victoria zu plaudern. Und ich übernehme die gesamte Verantwortung, weshalb ich nicht durch die Hoffnung abgelenkt werde, dass Victoria zum Beispiel Henrys Windel wechselt.
Vermeide Familienausflüge. Nichts führt so zwangsläufig zu einer Katastrophe wie der Plan, vier oder fünf Personen in einen Opel Vectra zu stopfen und einen Familienausflug zu machen. So etwas endet gewöhnlich damit, dass man Geld ausgibt – im Freizeitpark oder auf der Kegelbahn –, um die Familie zu retten. Das ist unweigerlich enttäuschend. Wir glauben, Geld sei mit Liebe gleichzusetzen, doch es kann zu Streitigkeiten und Vorwürfen durch die Kinder führen. Wir sind als Eltern so unfähig geworden, dass wir dauernd »Hilfe!« schreien, und die Konsumkultur antwortet: »Für ein Eintrittsgeld von 9,99 Pfund (oder 9,99 Pfund per Einzugsermächtigung) werden wir dir helfen.« Am Ende tun wir alberne Dinge. Statt die Kinder zum Beispiel in den Wäldern, auf den Feldern, in den Mooren und Tälern und an den Stränden in unserer Umgebung spielen zu lassen, fahren wir sie eine halbe Stunde lang in den nächstgelegenen Ort und laden sie unter großen Kosten in einer gepolsterten Lagerhalle voller Plastikröhren namens Bumper Back Yard ab.
Eine andere simple Lösung ist die, mehr Leute einzuladen. Teilt die Last. Tauscht euch aus. Füllt das Haus mit den Kindern anderer Leute. Bechert in der Küche mit ihren Eltern, während sich die Kinder im Haus oder im Garten austoben. Wenn wir zwei oder drei andere Sprösslinge einladen, verschwindet die ganze Bande, und ich kann einen Teil meiner Arbeit erledigen. Wir haben drei Jahre lang ein Kindermädchen beschäftigt (und einen Kredit auf das Haus aufgenommen, um sie zu bezahlen). Der große Vorteil war die Erweiterung des Haushalts; wir benahmen uns besser, wenn wir sie in der Nähe wussten; sie brachte Spaß und Tatkraft mit; wir konnten Schlaf nachholen. Aber der Nachteil war, dass Victoria und ich einen Teil unserer Verantwortung abluden. Ein Freund bemerkte, dass die Kinder uns gegenüber widerspenstig und dem Kindermädchen gegenüber gehorsam geworden waren.
Ein Hauptproblem der Kleinfamilie liegt darin, dass man zu eng aufeinanderhockt. Beispielsweise ist Arthur mit fünf Jahren von ständiger Unterhaltung abhängig geworden, sei es Fernsehen, Gesellschaft, Konsolenspiele oder der Computer. Er braucht immer wieder äußere Anreize. Unlängst rief er wütend: »Ich will … irgendeine … Unterhaltung!« Mit anderen Worten, er läuft Gefahr, die Fähigkeit zum selbständigen Spielen zu verlieren. Dadurch unterscheidet er sich stark von unseren beiden anderen Kindern, die häufiger allein gelassen wurden, weil sie das Zweit- und Drittgeborene waren. Auf diese Weise haben sie Eigenständigkeit entwickeln können. Arthurs Selbstentfaltung, die äußere Demonstration seiner Freiheit, beschränkt sich darauf, »Nein!« zu brüllen, wenn er gebeten wird, etwas zu tun.
Das Wunderbare an Kindern ist nicht ihre so genannte Unschuld, sondern ihre Leidenschaft für das Leben. Diese Leidenschaft kann sich in Form von Tränen oder Gelächter äußern, und wir müssen uns klarmachen, dass Tränen ebenso wie Gelächter etwas Positives sind. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Auch im Mittelalter schien man extreme Gefühle gutzuheißen. Diese sich in ihnen offenbarende Leidenschaft müssen wir in uns selbst wiederentdecken.
In D.H. Lawrence’ langem, im Jahr 1918 geschriebenem Essay »Education for the People« findet sich ein sehr beeindruckender Ratschlag zur Kinderbetreuung. Er empfiehlt ein einfaches Herangehen ans Familienleben, das weniger Arbeit erfordert, keine Kosten mit sich bringt und bessere Ergebnisse liefert: »Erste Regel: Lass sie in Ruhe. Zweite Regel: Lass sie in Ruhe. Dritte Regel: Lass sie in Ruhe.« Lawrence hält übertriebene sentimentale Mutterliebe für schädlich. Sein Rat »Lass sie in Ruhe«, den ich jeden Tag als Mantra wiederhole, soll Kindern erlauben, auf
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