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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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Aufmerksamkeit, Geborgenheit und Zufriedenheit als nach einem Mehr an Besitz.
    Strenges und hartes Nutzenkalkül, Rücksichtslosigkeit und Gier sind nicht die Haupttriebkräfte des Menschen, sondern das Ergebnis einer gezielten Züchtung. »Den Ursprung des Egoismus durch kapitalistische Zuchtwahl« könnte man diesen Prozess nennen in Anlehnung an das berühmte Hauptwerk von Charles Darwin. 11 Wie diese funktioniert, haben Ernst Fehr und seine Mitarbeiter in zwei Jahrzehnten so ausführlich untersucht, dass sich ein solches Buch tatsächlich schreiben ließe. Danach gibt es in vielen - wenn auch nicht in allen - Menschen die Neigung, sich fair zu verhalten. In ungezählten Kooperationsexperimenten hat sich herausgestellt, dass Fairness und Unfairness flexibel gehandhabt werden können, und zwar abhängig von den Umständen. Wo Egoisten den Ton angaben, besannen sich auch die fairen Versuchsteilnehmer auf ihren Egoismus, um nicht völlig
unterzugehen. Spielten alle fair, so sah kein Spieler, der über die Neigung zur Fairness verfügte, eine Veranlassung, unfair zu sein. Die Gruppe bestimmt über die Gruppenmoral, in einem wirtschaftspsychologischen Spiel nicht anders als beim Hamburger Polizeibataillon in Polen.
    Ob wir uns wie Wölfe verhalten oder wie Schafe, ist häufig eine Frage des Umfeldes. Im Gefängnis gelten andere Spieregeln als unter Sozialarbeitern, unter Bankern andere als unter Nonnen. Mit Ernst Fehr gesagt: »Sie können Umgebungen schaffen, die Menschen in ihren altruistischen Anlagen bestärken - oder diese abtöten. Ein Kollege hat zwei Fahrradkurierfirmen verglichen. In der einen bekommen die Leute Stundenlöhne, in der anderen werden sie für geleistete Aufträge bezahlt. Bei einem Experiment ähnlich dem Vertrauensspiel erwiesen sich die Kuriere der Firma mit den Stundenlöhnen als weit altruistischer als ihre Kollegen, die unter Akkord arbeiteten. Anscheinend hatten sich Letztere einfach daran gewöhnt, dass jeder sich selbst der Nächste ist.« 12
    Wer einseitig auf Konkurrenz setzt und die Kooperation vernachlässigt, gebiert keine netten Menschen. Wer gesättigte Märkte mit staatlichen Finanzspritzen aufputscht, um die Status-Gier zu beflügeln, der pult am sozialen Kitt unserer Gesellschaft. Wer tatenlos zusieht, wie sogenannte Spitzenmanager die Gehaltsund Bonusschraube ins Unermessliche drehen, der gefährdet das Gefühl für Sitte und Anstand. Und wer das Spiel der Kräfte in der Wirtschaft nicht reguliert, zerstört den freien Markt.
    Moral entsteht durch Vorleben und Abgucken, durch Nachahmen und Identifizieren. Die Vorbilder jedoch, die uns von den Titelseiten der Managerzeitschriften oder aus der Jury von Casting-Shows angrinsen, bedrohen das, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält. So gesehen war und ist die Finanzkrise weniger ein Unfall als ein Symptom unserer Zeit. »Es ist bequem, auf Einzelne zu zeigen - der Sache gerecht wird es nicht. Die jetzt Gebrandmarkten sind keine Außerirdischen. Sie gingen in unsere Kindergärten, Schulen und Universitäten«. 13 Unsere
gesamte westliche Gesellschaft bewegt sich seit längerem in eine höchst problematische Richtung. »Zu wenig Markt«, schreibt der Schweizer Publizist Roger de Weck, »schwächt die Leistung und mithin den Erhalt der Gesellschaft.« Doch »zu viel Markt schwächt ihren Zusammenhalt«. 14
     
    »Soziale Marktwirtschaft« ist kein fertiger Zustand. Vielmehr muss sie immer wieder neu ausbalaciert werden. Ihre beiden Grundprinzipen, der Liberalismus und die Demokratie, ergänzen und befruchten sich nur unter günstigen Umständen. Unter weniger günstigen Umständen, wie etwa durch den Einfuss der unbewältigten Globalisierung, verschieben sie sich automatisch. Die Marktkräfte arbeiten nun gegen die demokratischen Kräfte und bedrohen unser Gemeinwohl. Ohne starke Eingriffe des Staates gerät das Wirtschaftsleben außer Kontrolle und entwickelt eine gefährliche Eigendynamik. Es verzehrt seine gesellschaftlichen Voraussetzungen und unterspült unsere Kultur und Moral.
     
    Doch wie sind solche Eingriffe möglich? Welche sind wünschenswert? Und wie radikal muss dieser Umbau sein, um die liberale Dynamik so zu zivilisieren, dass sie der großen Mehrheit der Bevölkerung nutzt und ihr nicht fortschreitend schadet?
     
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