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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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Psychologie nach bieten Gesellschaften mit beschränkter Haftung eine ideale Spielwiese für moralischen Missbrauch. Denn wofür wir nicht haften, dafür sind wir auch nicht verantwortlich. Und wofür wir nicht verantwortlich sind, dafür sind wir auch nicht zuständig. In meinem eigenen Garten lasse ich keinen Abfall herumliegen, im Garten meiner Bekannten eigentlich auch nicht. Ich räume ihn weg, jedenfalls wenn er von mir stammt. Im Stadtwald ärgere ich mich darüber, wenn dort jemand seinen Müll liegen lässt, den ich aber mit großer Sicherheit nicht wegräume.
    Dass modernes kapitalistisches Wirtschaften und gesellschaftliche Moral und Verantwortung es miteinander nicht leicht haben - diese Erkenntnis stand bereits im Zentrum der sogenannten »Freiburger Schule« aus den 1930er bis 1950er Jahren und ihrem Umfeld. In der idyllischen Umgebung von Breisgau und Schwarzwald dachten in den wenig idyllischen Jahren 1932/33 drei Männer getrennt und gemeinsam über die Frage der optimalen Mischung aus privater Macht und sozialverantwortlicher Gesellschaft nach: der Ökonom Walter Eucken (1891-1950) sowie die Juristen Franz Böhm (1895-1977) und Hans Großmann-Doerth (1894-1944). 3
    Das Problem war nicht ganz neu. Schon John Stuart Mill hatte sich lange den Kopf darüber zerbrochen, wie sich die beiden wichtigsten Grundwerte der Politik miteinander vereinbaren lassen: die Idee des Liberalismus und die Idee der Demokratie. Obwohl wir bis heute in beidem etwas Positives sehen, so gehen sie doch nicht miteinander Hand in Hand. Um tatsächlich zu funktionieren, setzt Demokratie ein hohes Maß an Gleichheit voraus: ein gleiches Wahlrecht, eine gleiche Rechtssicherheit, einen gleichen Zugang zu Bildungsmöglichkeiten, Informationen, staatlichen Versorgungsleistungen und so weiter. Der Liberalismus dagegen kennt als oberstes Prinzip die Freiheit und damit immer auch die Chance, sich gegenüber anderen wirtschaftliche oder politische Vorteile zu verschaffen.

    Für die drei Freiburger und auch für ihre geistigen Weggefährten Wilhelm Röpke, Alfred Müller-Armack und Alexander von Rüstow ließ sich das Problem nur durch eine Voraussetzung lösen: die Wirtschaft bedurfte in moralischer Hinsicht eines starken Staates. Denn nur wenn der Staat seiner Funktion nachkam, die Wirtschaft »ordnungspolitisch« zu kontrollieren, konnten die »freien Märkte« sich frei entfalten. Wer ein faires Spiel der Kräfte gewährleisten will, überlässt diese nicht sich selbst, sondern er mischt sich ein. Der Staat spielt den Schiedsrichter, er pfeift ab, wenn es unfair wird, er bestraft mit gelben und roten Karten, und er achtet sorgsam auf den Schutz der besonders verletzungsanfälligen Spieler.
    Ein neues Wort, das die Freiburger Schule prägte, war der »Neoliberalismus«. Ganz im Gegenteil zu heute meinte »neoliberal« damals allerdings nicht weniger, sondern mehr Staat als im klassischen Liberalismus! Anders als viele heutige Ökonomen, die sich für Moralfragen lange nicht zuständig sahen, suchten die Freiburger dabei nach einer optimalen Synthese aus Markt und Moral. Allesamt erlebten sie (in höchst unterschiedlichen Positionen) das Dritte Reich und zogen daraus eine wichtige Schlussfolgerung: dass die Art und Weise, wie ein Volk wirtschaftet, sich unmittelbar auf seine Gesellschaftsordnung niederschlägt. Und umgekehrt bestimmt die Gesellschaftsordnung die Kultur der Wirtschaft. Markt und Moral lassen sich nicht trennen.
    Aber wie ist es mit ihrem Verhältnis beschaffen? Die vielleicht wichtigste Erkenntnis in diesem Zusammenhang formulierte Wilhelm Röpke (1899-1966). 4 Sie lautet: Die freiheitliche marktwirtschaftliche Ordnung beruht auf Voraussetzungen, die sie nicht selbst erzeugen kann. Oder einfacher ausgedrückt: »Erst kommt die Kultur und dann der Handel, nicht andersherum.« 5
    Wer gewinnorientiert und zweckrational handelt, verhält sich zwar ökonomisch schlau, aber er erzeugt damit keine Moral. Ganz im Gegenteil verbraucht er ein großes Kontingent an Moral,
das er in der Gesellschaft vorfindet. Er nutzt die Regeln der Fairness. Er fordert Vertrauen ein und vertraut. Und er geht von der Wahrhaftigkeit seiner Geschäftspartner aus, zum Beispiel, dass sie ihre Waren auch tatsächlich liefern, ihre Kredite zurückzahlen können und so weiter. Doch all dies wird nicht vom Markt selbst geschaffen, sondern bereits vorausgesetzt, damit der Markt funktionieren kann. Auf die Dauer gerechnet wird Marktwirtschaft für eine

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