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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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sind von keiner historischen Notwendigkeit abhängig.
    Karl Popper
     
     
    Manchmal, da sorgt sich auch Josef Ackermann darum, dass man ihn für kalt und herzlos hält.
    In einer ARD-Dokumentation des Grimme-Preis-Trägers Hubert Seipel erläutert der Chef der Deutschen Bank, dass auch er ein Mensch aus Fleisch und Blut sei, ein Mensch mit Mitgefühl. 1 Noch heute könne er »schlecht an jemandem vorbeigehen, der um Geld bittet«.
    So weit, so barmherzig. Nur, so erklärt der Filmautor aus dem Off, gäbe es da wohl ein kleines Problem: Ackermann gehe an keinen Armen mehr vorbei. Er fährt. Zum nächsten Termin, des Geldes wegen. Die Kamera zeigt den Top-Banker im Fond seiner schwarzen Mercedes-Limousine, mit Financial Times und Business-Handy.
    Es geht bei diesem Beispiel nicht um den Charakter von Josef Ackermann. Denn selbst wenn er den größten Teil seines Jahreseinkommens von 9,55 Millionen Euro (2009) den Armen spenden würde, das entscheidende Problem bleibt das gleiche. In der Welt des Josef Ackermann kommen nicht nur keine Armen vor. Es kommen überhaupt fast nur Reiche und Mächtige vor, Banker, Konzernchefs und Politiker. Alles andere ist alles andere. Das System der Hochfinanz funktioniert nach dem einen und einzigen Maßstab der Vermehrung von Gewinnen. Der Rest ist, mit
Niklas Luhmann gesagt, »Umwelt« (vgl. Im Netz der Spinne. Was Geld mit Moral macht).
    Ein Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft, den Gesamtprozess, die Moral in unserem Land ist hier nicht nur hinderlich - es taucht gar nicht erst auf. »Ich habe Frau Merkel immer klar gesagt, dass ich Angestellter der Deutschen Bank bin, und ich kann nicht gegen die Interessen der Deutschen Bank Rat geben«, sagt Ackermann im Film. »Banken, besonders private und börsennotierte Institute, haben keine Verpflichtung, das Gemeinwohl zu fördern«, erklärt im gleichen Sinne Alexander Dibelius, der Deutschland-Chef von Goldman Sachs. 2
    Der Satz von Dibelius ist falsch. Richtig und ehrlich wäre er gewesen, wenn der Banker gesagt hätte: »Banken, besonders private und börsennotierte Institute, fühlen keine Verpflichtung, das Gemeinwohl zu fördern.« Doch dass Banken keine Verpflichtung haben sollen, ist Unsinn. Wie unser ganzes Wirtschaftssystem, so lebt auch die Finanzwirtschaft von Voraussetzungen, die sie nicht selbst erzeugen kann. In diesem Punkt verhalten sich die Bankchefs, wie gesagt, wie pubertierende Kinder, die glauben, ihre Eltern nicht zu brauchen und ihnen nichts schuldig zu sein. Nur in einer Kultur des Vertrauens, der Fairness und der Wahrhaftigkeit kann sich die Finanzwelt überhaupt entfalten - selbst dann, wenn sie unausgesetzt dagegen verstoßen sollte oder verstößt. Stärker als jeder andere Wirtschaftszweig sind Banken »Moralzehrer« im Sinne Röpkes. Wer glaubt, dass er sich von den Spielregeln der Gesellschaft abkoppeln und nur seiner eigenen Logik des Geldverdienens folgen kann, wird dauerhaft sehen, dass er beides ruiniert: die Gesellschaft, der er sich nicht mehr verpflichtet fühlt, und seine eigenen Geschäfte. Die Erfahrung der Finanzkrise, wo »unabhängige« Banker plötzlich nach dem starken Staat schrien, um ihre Verluste zu sozialisieren, spricht eine deutliche Sprache.
    Doch wer öffnet den pubertären Kindern unseres Wirtschaftssystems die Augen? Wer hat überhaupt die Macht dazu? Sind sie
nicht längst viel mächtiger als Eltern, Onkels, Großeltern und Lehrer zusammen? In seinem Film über Ackermann erklärt Autor Hubert Seipel, dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel das Gleiche lernen musste wie ihre Vorgänger: »Sie dachte, sie sei an der Macht, dabei ist sie nur an der Regierung.«
    Die Vorschläge zum Umbau unserer Gesellschaft werden auf einem Markt verhandelt, auf dem nicht die Münze des besseren Arguments zählt, sondern die Währung von Macht und Einfluss. Vor jeder Verhandlung jedoch stehen Überzeugungen und Willensbildung. Was die Interessen privater Banken anbelangt, ist dieser Wille ziemlich eindeutig. Was die Überzeugungen der Regierung anbelangt, allerdings nicht. Fast jeden Tag, so sagte mir unlängst ein Mitglied der für die Bankenaufsicht zuständigen Regulierungskommission, erhalte er neue Anweisungen. Mal sollen die Regeln verschärft werden und mal nicht - je nach Konjunkturdaten, Kassenlage und Tagespolitik.
    Die Orientierungskrise der Politik in allen westlichen Ländern ist groß. Seit dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er Jahre bewegten sich die Gesellschaften

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