Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
kommt diese Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Politik? Die Palette der Vorschläge reicht weit. Wichtig wäre eine
tatsächlich ökologische Steuerreform und nicht ein Etikettenschwindel unter diesem Namen. Denkbar wäre auch ein »Ökologischer Rat« aus unabhängigen Sachverständigen mit einem Vetorecht gegen Regierungsentscheidungen. Viel ehrgeiziger noch erscheint Hans Christoph Binswangers Vision, direkt in den Wirtschaftsprozess einzugreifen und etwa Aktiengesellschaften aufzulösen und durch Organisationen von höherer Verantwortung zu ersetzen, zum Beispiel durch Stiftungen oder Genossenschaften. Ob sein ehemaliger Schüler Josef Ackermann und Alexander Dibelius das wohl einsehen …?
Fast sämtliche Vorschläge zu einem Umbau unserer Wirtschaft bewegen sich auf vermintem Terrain. Während die einen in der ökologischen, der finanziellen oder sozialen Krisensituation allenfalls Schönheitschirurgie betreiben wollen, geht dies anderen noch lange nicht weit genug. Großkritiker unseres gesamten Wirtschaftssystems halten dieses schon lange nicht mehr für reformierbar. In ihren Phantasmen träumen sie von einer gewaltigen Umverteilung und einer Verstaatlichung der Banken und »Schlüsselbetriebe«. Keinem Kommunismus nach realsozialistischem Modell reden sie zwar das Wort, aber einem commonism (von common = allgemein), der die natürlichen Ressourcen der Welt wie Wald, Bodenschätze und Luft zu Allgemeingut erklärt, das niemand privat besitzen und ausbeuten darf. Auch Bildung, Internet und soziale Sicherung gehören nach ihrer Ansicht zu den durch Privatwirtschaft unantastbaren Gemeingütern. Da dies unter den gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschafts- und Machtverhältnissen nicht realisierbar ist, fordern sie auf zu einer sozialen und ökologischen Radikalerneuerung. Doch wie diese in unserer realen Welt auf demokratischem Weg erfolgen soll, sagen sie nicht. Und eine Revolution ist auch nicht in Sicht, zumal wirklich überzeugende Gegenentwürfe zum Kapitalismus bislang auch nirgendwo auf dem Tisch liegen.
Der springende Punkt ist: Realistische Veränderungen sind gegenwärtig nur dort zu erwarten, wo sich ein echtes Verantwortungsgefühl
einstellt. Jede Einstellungsänderung ist eine Frage der Gruppenmoral. Und die Gruppenmoral ist die Summe aller Einstellungsänderungen.
Ein erster Schritt, um Verantwortungsgefühl dauerhaft in Unternehmen und Banken zu verankern, wäre die Einführung eines Bonus- und Malus-Systems. Trotz vieler Diskussionen gibt es hier bislang wenig Erfolge. 12 Immerhin: Im Herbst 2008 beschloss der Verwaltungsrat der wegen Fehlspekulationen in Milliardenhöhe in die Schlagzeilen gekommenen UBS, der größten Schweizer Bank, von nun an ein Bonus-Malus-System für ihre Manager einzuführen. 13 Zunächst einmal schaffte die UBS jeden Bonus für den Präsidenten des Verwaltungsrates ab, damit dieser künftig nicht mehr den gleichen Anreizen erliegt wie die Konzernleitung, sondern mehr kritische Distanz zu ihr wahrt. Die Boni der Manager werden nur noch zu maximal einem Drittel sofort ausbezahlt. Der Rest verbleibt drei Jahre auf einem Sperrkonto und wird nur dann freigegeben, wenn die Bank und ihre Unternehmensbereiche auch in den folgenden Jahren erfolgreich sind.
Um das Prinzip des verantwortlichen Wirtschaftens weiter voranzutreiben, wären darüber hinaus noch eine ganze Reihe von neuen Regeln denkbar. Man könnte anfangen bei Lohnobergrenzen für Manager, die sich in einem zumindest halbwegs nachvollziehbaren Verhältnis bewegen zu den Einkünften der Belegschaft. Argument dafür ist der Verstoß gegen die guten Sitten, der den Beteiligten, aber auch der Gesellschaft allgemein überzogene Anreize bietet und falsche Vorbilder schafft. Welche Vorstandsprivilegien sind tatsächlich nötig, und was bedient auf ungesunde Art die Eitelkeit? Wie viele Vergünstigungen und Werkzeuge des Neids muss ein gestandener und verantwortungsbewusster Manager für sein Selbstwertgefühl haben? Hier zeigt sich, ob die bei Manager-Schulungen gepredigten Werte von Fairness, Kooperation, Teamgeist und Rücksichtnahme ernst genommen werden oder nicht. Für extreme Risikobranchen empfiehlt sich neben dem Bonus-Malus-System auch eine Eigenkapitalhaftung
von Top-Managern - mit Sicherheit eines der wirksamsten Mittel gegen Fehlspekulation überhaupt.
Worum es hierbei geht, ist, eine neue Haltung, ein Ethos auszubilden, das in vielem das Gegenteil ist zum anglo-amerikanischen Angeber-Modell der beiden
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