Die Kunst, nicht abzustumpfen
militärisch-elektronische Messen in Europa und in den USA, beteiligten sich an Kundgebungen vor dem NATO-Hauptquartier u. v. a.. Jedes Jahr wandern sie auch von Tokyo nach Hiroshima, zur Gedenkfeier des Atombombenabwurfs am 6. August 1945.
Ein weiteres Beispiel ist Daniel Berrigan, US-amerikanischer Jesuit und Friedensaktivist. Er verbrannte öffentlich Einberufungsbefehle zum Vietnam-Krieg und kämpft gegen Armut und Gewalt. Im September 1980 gehörte er einer Gruppe von Friedensaktivisten an, die in eine Atomwaffenfabrik eindrangen und zwei Sprengkopfhülsen mit Hämmern beschädigten. Auf Werkzeugen und Plänen vergossen sie Blut, dass sie sich selbst abgenommen hatten und blieben – ora et labora – betend vor Ort, bis sie verhaftet wurden.
Berrigan (1999) schreibt: »Manche mögen denken, dass Spiritualität und politische Aktionen absolute Gegensätze sind, aber zum Glück kenne ich Tausende gläubiger Menschen, die sich mit voller Überzeugung durch Protestaktionen und Einsätze gegen ungerechte Machtverhältnisse zum Wort Gottes bekennen.« So kann die Spaltung zwischen Kontemplation und Aktion überwunden werden. Wenn also die Frage lautet: soll der Mensch beten oder sich engagieren, meditieren oder protestieren, dann lautet die Antwort: Ja!
8. »doch«
Das Wörtchen »doch« scheint zunächst nur ein unbedeutendes Füllwort zu sein; doch (!) bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass es unter anderen auch Widerspruch ausdrücken kann. So etwa im vorigen Satz, in dem das »doch« sozusagen gegen die Behauptung protestiert, es sei »nur ein unbedeutendes Füllwort«. Auch wenn »doch« oft abmildernd wirkt, so kann es doch (!) auch Gegensatz, Gegenrede, Abwehr oder Ablehnung (»nicht doch!«) ausdrücken und ähnliche Bedeutung haben wie die Worte jedoch, allerdings, hingegen, obwohl, dennoch oder trotzdem.
Der Trotz wird häufig negativ bewertet. Er kann in der Tat äußerst destruktiv oder selbstdestruktiv sein, z. B. wenn jemand um jeden Preis (»und wenn ich verrecke!«) an einem Ziel festhält. Trotz kann aber auch eine starke konstruktive Kraft sein. Entscheidend ist meines Erachtens, worauf er sich richtet: Ob er gegen fremdes oder eigenes Leben (etwa in der Magersucht als trotziges Sich-zu-Tode-hungern [Madelung 1989]) oder für ein positives Ziel wie die Bewahrung der Menschenwürde gerichtet ist.
Einen gepflegten Trotz halte ich für eine der wichtigsten Eigenschaften, die unsere Zeit benötigt, verleiht sie uns doch das Durchhaltevermögen, den »langen Atem«, und die Geduld, die es wahrscheinlich braucht, um die notwendigen Veränderungen zu erreichen. Ich erinnere mich an einen Moment während der Friedenswanderung quer durch die USA, der »Peace Pilgrimage of Europeans« im Jahr 1984. Über viele Monate waren wir, eine kleine Gruppe von Friedensaktivisten, täglich zwischen etwa 20 und 40 Kilometer gewandert und hatten in den vielen Dörfern und Städten entlang unseres langen Weges unzählige Vorträge, Diskussionen, Pressegespräche usw. über Atomwaffen und Abrüstung geführt. Im Spätsommer, während unseres Zwischenstopps in Chicago,
nutzte ich einige freie Stunden, um den Sears-Tower, den damals höchsten Turm der Welt, zu besuchen. Von dort oben erblickte ich, wohin ich auch schaute, von Horizont zu Horizont: ein Meer von Häusern, Straßen, Autos und Menschen. Dort oben wurde mir eindrücklich bewusst, wie riesengroß die Vereinigten Staaten von Amerika sind und wie groß die von uns selbst gesteckte Aufgabe war, in diesem Land einen Unterschied zu machen. »Und doch«, so sagte ich mir nach Momenten des Erschreckens, »würde ich so eine Aktion wieder tun.«
Ein konstruktiver, kraftvoller Trotz zeigt sich etwa im Lebenswerk von Robert Jungk, dem langjährigen Aktivisten für Frieden und Naturbewahrung, Zukunftsforscher und Begründer der Zukunftswerkstätten (Jungk / Müllert 1989). Seine Autobiographie trägt den Titel »Trotzdem« (1993). In seinem »Plädoyer für die politische Phantasie« (Jungk 1990, 37) beschreibt er sich als jemanden, der aus purem Zufall die Weltkriege und den Holocaust überlebt hat »und dennoch: Allen Erfahrungen zum Trotz, allen Wahrscheinlichkeiten widersprechend, jeder historischen Logik spottend spucke ich gegen den bösen Wind, der uns herumwirbelt, balle ich die Faust gegen die Mächtigen, die uns herumstoßen, widerspreche ich heftig meinen Freunden, den ›Realisten‹, die uns plausibel vorrechnen können, wie minimal heute die Chancen
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