Die Kunstjaegerin
irgendwann zwischen der zweiten und dritten Flasche im Gästezimmer zu Bett gebracht hatte, und setzte sich neben ihn. Sie betrachtete ihn lange.
Schlafende Kinder, Allegorien des Friedens. Ach, alles war so trügerisch.
In ihrem Kopf hämmerte es. Die Gedanken an den Mörder, die sie versucht hatte wegzutrinken, holten sie wieder ein. Wann nur hatte sie sich mit den Hunden ins Bett gelegt? Wissentlich hatte sie nichts Böses gemacht. Sie wollte lediglich klären, wer dieses Bild gemalt hatte. War sie gierig gewesen und erhielt dafür die Rechnung? Doch sie hätte das Erinnerungsstück an ihren Vater niemals verkauft, sie war nur neu gierig gewesen. War das, was gerade geschah, die Vergeltung, weil sie mehr wissen wollte?
Erlebte sie gerade ihre eigene Version der Vertreibung aus dem Paradies, weil sie in den Apfel der Erkenntnis gebissen hatte?
Musste man sich immer selbst für Dinge bestrafen, die nicht strafbar waren? Wieso diese Selbstgeißelungen, dieses mentale Fla-gellantentum? Erziehung? Kindheit? Würde sie Dino auch verkorksen?
Theresa streichelte ihrem Sohn noch einmal sacht über die Haare und legte sich dann neben ihn.
Arcetri, Mai 1636
Carissimo et illustrissimo mio amico!
Teuerster Freund!
Selbst wenn ich Euch keinerlei Besonderheit zu vermelden habe, so schreibe ich Euch dennoch. Da ich von Euch seit mehr als fünf Monaten keine Nachricht erhalten habe, hege ich große Angst, Euch erzürnt zu haben, weil ich mit dem Manuskript nicht weiterkomme. Aber ich werde so streng überwacht, dass es mir ein Unmögliches ist, unbeobachtet zu schreiben.
Auch kommen mir ständig diese verworrenen Gedanken in den Sinn. Ich will meinem Gott nicht widersprechen, doch was kann ich tun, wenn es die Natur selbst macht? Wenn ich beobachte, dass vieles nicht so ist, wie es in der Bibel steht? Es beunruhigt mein Herz und entfremdet meinen Geist. Kann Gott es wollen, dass ich seine wunderbare Schöpfung falsch beschreibe?
Ein falsches Zeugnis abzulegen, das können nur die Philosophen der Kirche wollen. Die Geistlichen der Inquisition machen es sich leicht, sie verschließen einfach die Augen vor der Wahrheit. Wie gut ist mir in Erinnerung, dass sie sich mit der Hartnäckigkeit einer Schlange geweigert haben, durch mein Fernrohr zu blicken.
Sie wollten die Planeten, die Monde nicht sehen. Sogar auf den Universitäten haben sie sich dem Fernrohr verweigert. Erhabener Geist und unabhängige Denkweise, von wegen! Ist das Neue immer der Feind des Alten?
Und ging es bei meinem Prozess überhaupt um die Erkenntnisfrage, welche Stellung die Erde im Weltall einnimmt, oder ging es um den Anspruch der Kirche, alleiniger Bestimmer über Wahrheit und Irrtum zu sein? Das Ganze war doch eine durchschaubare Farce.
Althergebrachtes zu hinterfragen, Strukturen verändern zu wollen, ist wie den Herrschenden das Fundament zu entreißen.
Einerseits will ich Gott nicht hinterfragen, aber wie kann ich anders? Wie werden wir weiterhin leben, wenn ein paar wenige glauben, den Anspruch auf die alleinige Wahrheit zu haben und die, die anders denken, als Ketzer verstoßen?
Diese Gedanken ziehen unablässig durch meinen Kopf, scheinen mich verrückt zu machen und einzig mein Sohn Vincenzino und Giusto, der wohlwollenderweise die Erlaubnis bekam, zu mir zu kommen, weil er mein Porträt malt, schaffen es noch, meine trüben Gedanken zu verscheuchen. Giusto, der mir vom edlen Herzog der Toskana geschickt wurde, ist ein wunderbarer Gast; er arbeitet und unterhält zugleich. Doch ständig stehen da zwei Herrn der Kurie im Hintergrund, die alles beobachten, wenn er da ist. Die beiden werden wohl selbst in meiner Todesstunde an meiner Seite sein. Wie Fährmänner zur Hölle.
Und ob Ihr es glaubt oder nicht, verwendet Giusto ein Harz des Juniperus, um seinen Firnis zu mixen. Er hat mir einen Teil davon hiergelassen, damit ich meine Einreibungen nach Eurem Rezept machen kann. Wenn solche Zufälle geschehen, glaube ich wieder, Gott hat ihn mir gesandt. Mit Giusto zu diskutieren, erinnert mich an die alten Zeiten mit Euch.
Oh, wie Ihr mir fehlt, lieber Freund. Und unsere Gespräche.
Der Gedanke daran hält mich jung und ich fühle mich um vieles besser.
Bitte schreibt bald, ich bete für Euch und Eure Gesundheit Untertänigst und immer Euer Diener, G.
Kapitel 9
Südsteiermark, Samstag, 9. November Üble Kopfschmerzen weckten Theresa. Dino schnaufte leise neben ihr. Wieso lag er in ihrem Bett? Sie sah sich um. Wo war sie überhaupt?
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