Die Kunstjaegerin
Nur langsam dämmerte ihr, dass sie bei Rena geschlafen und gestern eindeutig zu viel getrunken hatte.
Vor ihrem Fenster ging die Sonne hinter einem der wenigen Hügel der Südsteiermark auf. Es schien ein klarer, wolkenloser Tag zu werden. Sie schlich auf Zehenspitzen in die Küche, um die anderen nicht zu stören, doch Rena war bereits wach und saß eingemummelt in einem warmen Mantel auf der Terrasse. Die Beine mit einem Wollplaid bedeckt, ließ sie sich von der Morgensonne wärmen.
Theresa ging auch hinaus und machte einen tiefen Atemzug.
»Wie geht es dir?«, fragte sie und griff sich sofort an den Kopf.
Das war zu laut gewesen.
Rena drehte sich um und legte den Zeigefinger an den Mund.
Große, schwarze Brillengläser verdeckten ihre Augen.
»Wir vertragen nichts mehr. Einmal wieder jung sein wollen und gleich wirst du bestraft«, flüsterte Theresa und erschrak. Schon wieder das Thema Strafe!
»Willst du Kaffee? Der steht hier. Oder vielleicht Peperoni, süßsauer, eingelegt nach eigenem Rezept. Gut gegen Kater. Die sind in der Küche«, sagte Rena leise.
»Kaffee gerne, den Rest: nein danke. Und bitte schrei nicht so!«
»Noch leiser geht’s nicht«, antwortete Rena mit schmerz-verzerrtem Gesicht.
»Hoffentlich schlafen die Jungs noch lange.«
Still saßen sie eine Stunde nebeneinander, schlürften bedächtig ihre Muntermacher. Theresa freute sich, dass es Menschen gab, mit denen man gemeinsam schweigen konnte – und das nicht nur wegen der Kopfschmerzen. »Brauchst du meine Hilfe?«, fragte Rena schließlich. »Ich glaube, dass es nichts mehr zu tun gibt. Der Spuk ist
vorbei«, erwiderte Theresa. »Kann ich trotzdem noch eine Nacht hierbleiben und mich erholen? Leon ist bis Sonntag weg und ich will nicht allein zu Hause sein.«
»Natürlich. Was hat er eigentlich zum Einbruch gesagt? Ist er nicht sofort ins nächste Flugzeug gestiegen?«
»Er weiß es noch nicht. Als ich ihn erreichen wollte, war nur die Mailbox an. Und jetzt gehe ich nicht ans Telefon, wenn er anruft.
Soll er sich ruhig sorgen. Weißt du, manchmal bringt mich seine blöde Gelassenheit zur Weißglut. Wenn er gewisse Dinge nicht sehen will …«
»Wie zum Beispiel die Geheimgesellschaften, die dich verfolgen?« Auch Rena schaute skeptisch. »Entschuldige, das klingt selbst in meinen Ohren zu fantastisch.«
»Ich weiß, aber diese vier Männer am Friedhof in Pöllau …«
Theresa stockte kurz. Wieder fühlte sie sich an etwas erinnert, doch ihr fiel partout nicht ein, was sie vergessen haben könnte.
Müde lehnte sie sich zurück, versuchte die wärmende Herbstsonne zu genießen und versank im Anblick der Blumen.
Im Haus fing es an zu schnattern. Dino und Kaspar waren aufgewacht. Sie stürmten in die Küche, um sich für den Tag zu stärken. Nach dem Frühstück machten sie sich auf die Suche nach den letzten Kastanien und bauten einen Staudamm im kleinen Bach neben dem Grundstück. Theresa beobachtete sie von der Terrasse aus. Sie waren selig in ihr Spiel vertieft. Ganz im Hier und Jetzt.
Die beiden konnten es noch – sorglos sein. Sie bat Rena um Stift und Block und begann die Kinder zu zeichnen.
Nach einem späten Mittagessen streckte sich Theresa genüsslich, um die eingerosteten Gelenke in Schwung zu bringen. »Ach, war das angenehm, den ganzen Tag herumzusitzen, sich die Sonne auf die Nase scheinen zu lassen und den Kindern zuzusehen. Danke, dass du uns arme Flüchtlinge aufgenommen hast.«
»Gerne. Du kannst ruhig öfter kommen, nur bitte ohne Verfolger.
Weißt du was, jetzt mache ich noch eine Flasche Prosecco auf, wir setzen uns auf den Balkon und beobachten die Vögel, die den Abflug nach Ägypten verpasst haben. Wir tun einfach so, als ob die Welt in Ordnung wäre.«
Doch der Anruf von Boris durchkreuzte ihren Plan. Als Theresa das Telefon abnahm, sprudelte er ohne Begrüßung sofort los: »Theresa, du hattest recht! Dreiseitls Frau wurde ermordet und der Täter läuft noch frei herum.«
»Ich hab’s geahnt.«
Boris las ihr den Artikel aus der ›Kleinen Zeitung‹ vor. Die hochschwangere Ilse Dreiseitl war am 1. Juli 1980 bei einem Einbruch getötet worden. Sie hatte den Eindringling überrascht, dieser wollte fliehen, stieß sie zur Seite, sie stürzte so unglücklich, dass sie bewusstlos liegen blieb und innerlich verblutete. Als ihr Mann nach Hause kam und sie fand, erwachte sie noch mal kurz, bevor sie in seinen Armen starb.
Theresa fühlte sich elend. Sie bedankte sich mit knappen Worten bei
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