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Die Kunstjaegerin

Die Kunstjaegerin

Titel: Die Kunstjaegerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elis Fischer
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unbekümmerte Art, etwas anzugehen, ohne an die möglichen Konsequenzen zu denken, beruhigte sie. Er ging seinen Weg. Wie sie dieses Kind liebte!
    Nun stand sie allein auf dem Sims und schaute in die Tiefe. Sie hatte die Uffizien nicht so hoch in Erinnerung. Das Adrenalin pochte in ihren Schläfen. Wie viel Zeit blieb ihr noch? Hörte sie da bereits seine Schritte im Zimmer nebenan?
    Sie sah auf die andere Seite. Dino würde es schaffen, er war kurz davor anzukommen. Tief einatmen, ausatmen – sie brauchte inneres und äußeres Gleichgewicht. Jetzt wäre Shavasana optimal.
    Aber dafür hatte sie weder Platz noch Zeit. Zudem war die Totenstellung das Letzte, woran sie gerade denken wollte.
    Theresa hörte ihn näher kommen und begann zu balancieren.
    Hastig blickte sie zu ihrem Sohn – er war drüben angekommen!
    Gott sei Dank! … Gott sei Dank? Sie schnaubte verächtlich und musste plötzlich an den Freund ihres Vaters denken, der in Lourdes von einem Kreuz erschlagen worden war. Seine Geschichte ließ sie stark an der Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen zweifeln …
    Himmel! Wieso hatte sie plötzlich so irre Gedanken? Aber dachte man in höchster Not nicht instinktiv an Gott? Flehte um seine Hilfe?
    Wer mochte der Schutzheilige der Seiltänzer sein, der nebenbei auch noch Kugeln abfangen konnte?
    Als sich ihre Nackenhärchen aufstellten, wusste sie, dass Casagrande hinter ihr ans Fenster getreten war. Sie spürte, wie er auf sie zielte. Auf der Straße nahm sie Bewegungen wahr, mahnte sich aber, nicht nach unten zu sehen, und ging langsam weiter.
    Ein Schuss zerriss die angespannte Stille. Alarmiert blickte Theresa nach vorne zu ihrem Sohn, der sich gerade auf dem kleinen Steinbalkon niederkauerte. Er schien nicht getroffen zu sein.
    Wieder spürte sie Tränen aufsteigen. Sie schluckte sie hinunter und machte vorsichtig den nächsten Schritt. War sie getroffen? Doch wo blieb der Schmerz? Unterdrückten die Endorphine jedes Gefühl?
    Oder war Casagrande so ein verdammt schlechter Schütze? Warum versuchte er nicht zu fliehen? Himmel Herrgott noch mal! Und wo war der überhaupt, wenn man ihn dringend brauchte?
    Sie wackelte unsicher, ruderte mit den Armen und konnte sich im letzten Moment fangen. Der Vollmond schien sie auszulachen, wenigstens beleuchtete er ihren Weg. War das nicht Leon, der da rief?
    Ein zweiter Schuss fiel und sie spürte noch immer keinen Schmerz. Die Lichter eines Wagens, der um die Ecke schoss, und neben lauter kleinen Polizeiautos stehen blieb, irritierten sie. Nicht nach unten schauen! Benommen starrte sie stur geradeaus und redete sich ein, nur 15 Zentimeter über dem Boden zu schweben.
    Genau wie zu Hause. Alles war gut! Wann kam der nächste Schuss?
    Nur noch drei Meter!
    Wieder blickte sie zu ihrem Sohn, dessen Haare über der Balustrade hervorlugten. Dahinter öffnete sich die Balkontür und helfende Hände zogen Dino in die Wohnung. Theresa atmete erleichtert aus, die Spannung verließ ihren Körper und im selben Moment fiel sie. War dies der legendäre Augenblick, in dem das Leben an einem vorüberzog? Doch da war nichts – außer Schmerz und Dunkelheit.
    Flora sah aus dem Polizeiauto Theresa wie in Zeitlupe fallen. Das durfte nicht wahr ein, das ist alles nur ein böser Traum, bitte lass mich aufwachen, flehte sie. Doch sie war wach, sie hörte Paul neben sich schreien. Flora riss die Tür des langsamer werdenden Wagens auf, ignorierte die italienischen Flüche des Fahrers und hetzte über den Platz. Paul rannte hinter ihr her. Er schrie noch immer, aber sie verstand kein Wort. Sie sah nur Thesi da liegen – Thesi, die sich nicht mehr rührte. Flora fühlte sich wie eine Versagerin. Wieder war sie nicht da gewesen, als Thesi sie gebraucht hatte. Sie war schuld, dass ihre beste Freundin tot war.
    Als Theresa zu sich kam, hatte sie Mühe, sich zu orientieren. Wo war sie, was war geschehen? Den italienischen Wortschwall, der von allen Seiten auf sie einbrach, versuchte sie auszublenden. Und endlich hörte sie Leons Stimme, diesmal ganz deutlich.
    »Schatz, alles in Ordnung?«
    Er lief auf sie zu. Aus der anderen Richtung kamen Paul und Flora, Boris trug Dino im Arm, der stolz grinste. Erleichtert versuchte Theresa sich zu bewegen, doch ihr ganzer Körper schmerzte wie verrückt. Sie fühlte etwas Weiches unter sich und schaute auf den Boden.
    Das Luftkissen, das ihren Sturz hätte abfedern sollen, war anscheinend nicht fertig aufgeblasen gewesen. Es hatte zwar den Aufprall gebremst,

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