Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Kreuzzug das Heilige Land und Byzanz zu befreien. Es lag ja erst ein Menschenalter zurück, dass Sultan Mehmed II. mit seinen muslimischen Horden Konstantinopel überrannt und dem einst so stolzen Ostrom, das allerdings schon seit geraumer Zeit ins Taumeln geraten war, den Todesstoß versetzt hatte. Die Erinnerung an den bittersten aller Tage, an dem die Schwester des Petersdoms, die Hagia Sophia, geplündert und in Brand gesteckt worden war, steckte allen noch in den Knochen – den ganz Alten aus eigenem Erleben, den Jüngeren durch die Schreckensberichte der Älteren.
Alles in allem hatte die Erzbruderschaft ein zwiespältiges Verhältnis zu Julius II.: Die Brüder verachteten die heidnischen Gelüste des Kriegerpapstes, stimmten jedoch mit seinen kirchenpolitischen Zielen überein. Dieses Dilemma fraß an ihnen. Sie konnten nicht völlig für ihn sein, sie durften nicht gegen ihn sein. Ähnlich verhielt es sich mit dem Günstling des Papstes, dem Architekten Donato Bramante. Im Grunde verabscheuten sie ihn, aber vielleicht konnten sie ihn für ihre Zwecke benutzen, eher noch als den jungen Bildhauer aus Florenz.
Giacomo ging es in erster Linie um den Ring, doch das war seine Privatangelegenheit, von der die Brüder nichts zu wissen brauchten. Es war das Einzige, was ihm von seinem Vater geblieben war, den er einst ans Messer geliefert hatte. Es waren schwere Zeiten damals, und er war noch ein Kind gewesen. Ach, hätte er doch beichten können – aber wem? Er hatte das Richtige und das Falsche zugleich getan, eine große Sünde begangen, um eine andere große nicht zu begehen. Wie sollte er je aus diesem Teufelskreis herausfinden? Gott prüfte ihn hart und grausam. Er spürte instinktiv, dass es dabei nicht um Vergebung ging, sondern dass ihm die ewige Verdammnis bevorstand.
»In zwei Tagen werde ich wieder hier sein, und dann will ich den Ring haben. Habt ihr mich verstanden?«
27
Rom, Anno Domini 1505
Auf den Tisch hatte Bramante ein großes Pergament gespannt und zeichnete darauf seine Vision der neuen Peterskirche. Schon seit einer Woche hatte er unablässig wie im Rausch daran gearbeitet. Immer wieder unterbrach er sich und blätterte in der Übersetzung des »Buches der Baumeister«. Dann rechnete er wieder. Wie hoch durfte er die Pfeiler der Vierung treiben? Und vor allem: Welche Fläche konnte eine Kuppel maximal überspannen, ohne einzubrechen? Mit einem Wort: Welche Ausmaße würde sein Himmel einnehmen? Ihn zu gering zu denken verbot sich von allein. Also, welchen Durchmesser sollte er ansetzen? Fünfzehn Fuß? Fünfundzwanzig? Fünfzig? Dann würde sein Himmel die Breite des Tibers übertreffen.
Er rechnete nach, setzte die Zahlen zueinander ins Verhältnis und erkannte, dass er nicht nur eine riesige Vierung mit gigantischen Segmenten brauchen würde, um die Kräfte der Kuppel aufzufangen. Es blieb auch fraglich, ob die Kuppel selbst die ungeheuren Kräfte in ihrem Innern ableiten konnte und nicht einfach barst. Die Kuppel des Pantheons maß nahezu fünfzehn Fuß, die des Domes von Florenz kam auf ähnliche Maße, war zweischalig und mit geringer Wölbung, aber stattdessen mit vielen Streben versehen, im Grunde gotisch. Also zählte sie nicht. Auch wenn seine Berechnungen etwas anderes ergaben, reizte es ihn, die Flussbreite des Tibers an der Schleife nahe Sankt Peter, dort, wo die Engelsburg stand, als Maß für den Durchmesser der Kuppel des neuen Petersdomes zu nehmen. Er warf sich in seinen Stuhl, sodass das ausgetrocknete Holz unter seinem Gewicht ächzte, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und dachte nach.
Es würde genügend Neider geben, die ihm vor- und nachrechnen würden, dass sein Plan undurchführbar war. Er beschloss, von der Größe der Kuppel des Pantheons auszugehen. Sie in ihrer flachen Eleganz als Himmel auf den neuen Dom zu heben, würde ihm genügend Ehre einbringen. Während er zeichnete, kam ihm eine vage Idee, die sich seiner nach und nach vollkommen bemächtigte. Schließlich ließ er die Skizze ruhen, denn es trieb ihn zum Vatikan. Drei Tage verbrachte er dort mit Vermessungsarbeiten. Obwohl er darin geübt war, probierte er eine neue Methode aus, die bussola, bei der er den Magnetkompass dazu benutzte, über mathematische Proportionen Längen zu berechnen.
Das Gelände unterhalb des Südarmes der Basilika, wo sich die beiden berühmten Kapellen, die Capella Santa Maria della Febrella und die Kapelle der heiligen Petronilla, befanden, erregte sein besonderes
Weitere Kostenlose Bücher