Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Michelangelo kümmerte sich nicht weiter um Anna, nahm aber erleichtert zur Kenntnis, dass sie wieder zu reden begann und allmählich ins Leben zurückfand. Eine unerklärliche Unruhe erfüllte ihn und trieb ihn an.
Eines Morgens trat er früher als gewöhnlich aus dem Haus. Das Mädchen stand vor ihm und beobachtete zwei Zeisige, die sich um eine Mandel stritten. Plötzlich begann sie zu kichern, wie nur Mädchen zu kichern verstehen, vergnügt und verhalten, wild und zurückhaltend, frei und froh. Er konnte sich kaum an ihrer Freude sattsehen, rief sich aber bald zur Ordnung und machte sich auf den Weg zu den Steinbrüchen.
Er hatte es nun eilig, denn zum Jahreswechsel wollte er wieder in Rom sein und mit dem Grabmal beginnen. Nachts arbeitete er an der Skizze eines sitzenden Mannes für seine Figur des Moses und staunte, als das Gesicht des biblischen Propheten immer mehr die Züge des Steinmetzen Fritz il Rosso annahm. Nicht lange darauf begann er, den Marmorblock zu bossieren, den er für den sitzenden Moses vorgesehen hatte. Es war derselbe Stein, vor dem Matteo den unglücklichen Giovanni getötet hatte, derselbe Stein, von dem er schließlich erschlagen wurde.
Nach der Auswahl der Steine musste Michelangelo nun auch den Bruch des Marmors überwachen. Um die Blöcke aus dem Felsen zu schlagen, trieben die Arbeiter Holzkeile in den Berg, die sie immer wieder ordentlich wässerten. Durch die Spannungen des arbeitenden Holzes wurde der Block regelrecht aus dem Gestein herausgesprengt. Der Bildhauer kontrollierte, ob dadurch Risse entstanden waren. Einen beschädigten Stein, der sich später als unbrauchbar erweisen würde, nach Rom zu schaffen, wäre reine Geldverschwendung gewesen. Und ein Mann wie Michelangelo, dem an sich schon jegliche Ausgabe verhasst war, konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als Geld für nichts und wieder nichts auszugeben. Kräftig drückte er die Löhne der Arbeiter im Steinbruch und die Preise für den Transport und die Verschiffung des Marmors. Er wusste, dass er auf seine Steine wie auf kleine Kinder aufpassen musste. Bis sie endlich in Rom angekommen sein würden, bedeutete jede Station auf der Reise eine Gefahr.
Rom, Anno Domini 1505
Wenn die Abendsonne ihre langen Strahlen freundlich vom Westen her über das Forum Romanum schickte, zog es die Bauern mit ihren Kuhherden nach Hause. Sie wussten nicht, dass sie ihr Vieh auf dem einstigen Mittelpunkt der Welt weideten und nannten den Ort daher nur Campo Vaccino, Viehweide. Doch unbelebt war der wüste Ort nicht. Es wechselte nur die Klientel.
Pünktlich mit Einbruch der Dunkelheit ließ sich beim Triumphbogen des Titus in der Nähe des Kolosseums allerlei lichtscheues Gesindel nieder, Mörder, Diebe, Falschspieler, Dirnen und Strichjungen. Sie lagerten um ein großes Feuer, das ein Loch aus Licht in die wolkenverhangene Nacht riss. Zu ihnen trat ein Mann, der in einen schwarzen Mantel gehüllt war. Sein schmuckloses Barett hatte er tief in die Stirn gezogen. Unter dem Mantelsaum lugte die Spitze eines Rapiers hervor – wer sich um diese Zeit in diese Gegend wagte, trug besser Waffen. So gewandet sah Giacomo il Catalano aus wie ein spanischer Edelmann und nicht wie ein Dominikaner.
»Ah, der ist etwas für mich«, schnurrte eine zahnlose Alte und grinste ihn frech an.
»Hast genug Männer im Leben verbraucht! Für dich ist keiner mehr dabei«, fuhr sie ein Spitzbube mit kräftiger Statur an und stand auf. Er tippte seinen Nachbarn an, der sich ebenfalls erhob und mit dem Kräftigen auf Giacomo zutrat. Obwohl sie unter freiem Himmel kampierten, stank es nach billigem Fusel, abgestandenem Schweiß und Urin. Nach der Abfuhr, die sie sich geholt hatte, ging die Alte dazu über, sich den Grind vom Finger zu kratzen, und schnitt dabei unablässig widerwärtige Grimassen. Aus den Augenwinkeln nahm der Kardinal mit Abscheu ein Menschenknäuel wahr, das sich ungeniert in aller Öffentlichkeit vergnügte. Ihre Laute der Lust erinnerten ihn an das Quieken von Ferkeln.
»Die Himmelfahrt des kleinen Mannes …«, sagte der Kräftige mit rauer Stimme und stieß seinen Kumpan grinsend mit dem Ellenbogen in die Seite. »Verübelt es ihnen nicht, Herr.«
Giacomo verzichtete darauf, den Mann zurechtzuweisen, dessen Geschäft im Auftragsmord und nicht in der Aufrechterhaltung der allgemeinen Tugend bestand. All jene, die um das Feuer kauerten, lebten auf Erden ja bereits in der Hölle. Erlösung kam für sie nicht infrage, sie würden
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