Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Antonio, wieder bei ihm einzuziehen und mitzuhelfen, Lucrezia zu trösten. Zuvor nahm er ihm den Schwur ab, sie nicht zu verführen und zu entehren. Allerdings musste Antonio mit einer Kammer unter dem Dach vorliebnehmen, während sich Lucrezias Zimmer neben Bramantes Schlafgemach befand. Der Architekt vertraute seinem Gehilfen blind, nicht aber den Kräften seines Körpers.
Antonio täglich – wenn auch nur kurz – zu sehen, schenkte Lucrezia ein wenig Trost. Vierzehn und mehr Stunden am Tag hielt ihn der Bau des Petersdomes in Atem, denn nach dem Willen des Papstes musste er den Westchor so schnell wie möglich hochziehen. Jenen Westchor, den Bramante und er für überflüssig hielten. Dadurch kamen die Arbeiten an der Vierung zum Erliegen, was Antonio ärgerte, Bramante aber so deprimierte, dass er jedes Interesse am Fortgang des Baugeschehens verlor und sich lieber auf den anderen Baustellen herumtrieb. So lag die ganze Last der Baustelle am Petersdom auf Antonios jungen Schultern. Die Zeit, die übrig blieb, verbrachte er mit Lucrezia. Das war schön und schwierig zugleich, denn ihre Liebe wuchs von Tag zu Tag, und das Versprechen der Enthaltsamkeit empfanden die beiden jungen Menschen als Folter.
48
Rom, Anno Domini 1512
Zur Eröffnung der Sixtinischen Kapelle erschien alles, was in Rom Rang und Namen hatte, um das Wunder aus Gestalt und Farbe zu bestaunen. Michelangelo stand nur am Rand und schaute missmutig vor sich hin. Was gingen ihn die Leute an! Er fühlte sich leer und müde. Alles, was er vermochte, hatte er an die Decke gebracht. Und war nun erschöpft wie Gott am siebenten Tag und sehnte sich wie dieser danach, endlich auszuruhen. Giovanni de Medici kam mit strahlenden Augen auf ihn zu. »Du hast dich selbst übertroffen, Michelangelo!«
»Ergebensten Dank«, antwortete der Künstler kühl und hoffte, dass Giovanni nicht bemerken würde, dass der Engel, um dessen Nacken Gottes linker Arm lag, Contessinas Züge trug, ihn also aus den Augen seiner Schwester anblickte.
Der Kardinal lächelte hintersinnig, dann beugte er sich kumpelhaft zu Michelangelo. »Wenn ich all diese schönen Körper in ihrer Perfektion sehe, dann habe ich das Gefühl, dass wir Pieros gedenken und ihm danken sollten.«
»Wieso Piero?« Der Maler verstand die Anspielung nicht. Giovanni amüsierte sich köstlich darüber, dass er Michelangelo gefoppt hatte.
»Ganz einfach! Erkläre mir einmal, wie du überhaupt imstande gewesen wärest, diese vielen schönen, nackten Körper so lebendig zu malen, wenn du mir nicht die Bildchen angefertigt hättest und Piero dich zu diesem Zweck nicht zum Malen in die einschlägigen Etablissements geschleppt hätte? Gott ist groß, und er ist überall«, lachte Giovanni de Medici und ließ Michelangelo stehen, weil er Kardinal Petrucci entdeckt hatte, mit dem er unbedingt ein paar Worte wechseln wollte.
Michelangelo kochte innerlich. Wie konnte es dieser Medici wagen, seine Schöpfung in den Schmutz zu ziehen, Gott und die Menschen, die Propheten und Sibyllen mit den Huren und den käuflichen Jünglingen in den Florentiner Bordellen zu vergleichen? Er fühlte, dass er die Beherrschung zu verlieren drohte, als eine wohlbekannte Stimme an sein Ohr drang.
»Ist dir nicht wohl, mein Sohn?«, fragte Julius II.
Der Maler rang um Fassung. »Doch, Heiliger Vater, es ist alles, wie es sein soll.«
»Das Werk ist dir gelungen, Michelangelo, du hast das Leben gestaltet, das wahre, das wirkliche Leben. Nachdem das vollbracht ist, geht es nun aber endlich an Unser Grabmal!«
»Ich dachte, Ihr hättet diesen Plan verworfen«, sagte Michelangelo erstaunt.
»Natürlich nicht. Aber erst musste dieses Werk hier fertiggestellt werden. Und nun beeile dich, mein Sohn.«
»Kommt Messèr Donato denn ordentlich voran, oder wird Euer Grabmal im Freien stehen müssen?« Michelangelo ergriff die Möglichkeit beim Schopf, seinen Zorn über Giovanni de Medicis Boshaftigkeit an dem ungeliebten Konkurrenten auszulassen.
»Wir haben ihn angewiesen, von der Vierung abzulassen und zunächst den Westchor fertigzustellen. Nun säume aber auch du nicht! Du weißt, Wir haben keine Zeit, keine Zeit. Die Uhr zeigt fünf vor zwölf!«
Michelangelo wollte etwas einwenden, aber der Papst winkte ab. Er wollte keine Lobhudeleien auf seine Gesundheit hören – zu sehr spürte er, wie es körperlich mit ihm bergab ging.
Michelangelo hätte warten sollen, doch er nahm noch am selben Abend die Arbeit am Mausoleum Julius II.
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