Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Ableben des Papstes hatte Morone damals gerettet. Daniele eilte aus dem Zimmer, während Vasari sich auf das Bett des Göttlichen setzte. Michelangelo griff nach seiner Hand.
»Narren sind schon eine Plage, aber wenn sie an Gott glauben, dann werden sie zur Pest! Jetzt hindern sie mich doch noch daran, den Dom zu Seinem Ruhme zu vollenden. Höre, mein Freund, erst wenn die Kuppel des Himmels gesetzt ist, ist das Wesentliche vollbracht. Schwöre, dass du das Werk vollenden wirst! Schwöre es! Sonst finde ich keine Ruhe!«
»Aber Ihr habt doch so viel geschaffen! So viel, wie es niemandem vor Euch geglückt ist und wie es niemandem mehr nach Euch vergönnt sein wird. Warum quält Ihr Euch so?«
»Weil die Kuppel des Himmels meine Sühne ist. Das, womit ich Gott für meine Sünden vor dem Jüngsten Gericht um Verzeihung bitte. Giorgino, meine ganze Seligkeit liegt nun in deiner Hand. Nur du kannst mich vor der ewigen Verdammnis bewahren! Ich hatte es doch Gott geschworen – und nun werde ich meinen Eid nicht mehr erfüllen können, wenn du es nicht an meiner Stelle tust …« Der Schmerz nahm ihm fast die Stimme und trieb ihm die Tränen in die Augen. »Meine Sünden, oh, meine Sünden …«
»Aber wo habt Ihr gesündigt, Maestro?«
»Was weißt du schon, Giorgino? Der da oben weiß es, und ich weiß es. Messèr Dante hat beschrieben, was die armen Sünder zu leiden haben, die der alte Feind in den Kreisen der Hölle schindet.« Michelangelo schloss kurz die Augen. Dann versuchte er, sich noch einmal aufzurichten, doch er war schon zu schwach dafür. Einen Moment lang kämpfte er gegen die Schwerkraft des Todes an, bevor er aufgab und sich wieder auf das Bett sinken ließ.
»Erfülle meinen Eid, Giorgino. Tu es für mein Seelenheil! Ich flehe dich an!« Die nur noch gehauchten Worte riefen Vasari die vor unsäglichem Schrecken weit aufgerissenen Augen der armen Seelen ins Gedächtnis, die der Weltenrichter zur ewigen Qual in der Unterwelt verurteilt hatte. Er sah Michelangelos Fresko des Jüngsten Gerichts vor sich, das der Göttliche an die Altarwand der Sixtinischen Kapelle gemalt hatte. Wie die Menschen hofften und einige von ihnen auch kämpften, doch noch in die Seligkeit vordringen zu können, aber von Dämonen, die an ihren Beinen zogen, ihre Knie umklammerten, in die Waden bissen, daran gehindert wurden. Und damit nicht genug: Die Teufel zogen sie in die Tiefe, von oben traten die Engel nach ihnen und trommelten mit den Fäusten auf ihre Köpfe, um ihnen den Weg in den Himmel zu verwehren. Eine wilder, doch vergeblicher Kampf um die Erlösung. Der göttliche Richterspruch lautete: Sie waren verdammt! Christus hatte sie zur ewigen Pein verurteilt.
Der furchtsame Gesichtsausdruck des sterbenden Künstlers erinnerte Vasari an den heiligen Bartholomäus, der seine abgezogene Haut in den Händen hielt. Auf der Gesichtshaut hatte Michelangelo die Züge eines leidenden Menschen verewigt, nämlich seine eigenen. Das war alles, was dereinst von ihm bleiben würde: seine Angst. Erst in diesem Moment verstand Vasari das ganze Ausmaß der Furcht, die der Göttliche damals auf die Altarwand gemalt, die ihn gejagt und gehetzt hatte. Er erschrak, denn er musste Santori recht geben: Das war Ketzerei! In der Sixtinischen Kapelle, in der die Päpste gewählt und der Heilige Vater Hochämter abhielt, hatte Michelangelo ein Fresko geschaffen, das von der Verdammnis der Menschen, von ihren Ängsten und ihren Leiden und von der Grausamkeit der Engel und der Kälte der Heiligen sprach. Nächstenliebe suchte man in ihren selbstgerechten Mienen vergebens. Sie verwiesen wie Krämer auf ihre Verdienste und kümmerten sich nicht um die Menschen. Es ging ihnen einzig um den Nachweis der eigenen Heiligkeit. Selbst vor dem Weltenrichter war sich jeder selbst der Nächste. In seinen Gedanken versuchte Vasari, die ganze Botschaft des Bildes zu erfassen. Aus seiner Erinnerung tauchte das Bild jenes jungen Mannes auf dem Fresko auf, dem die Posaunen des Jüngsten Gerichtes fast ins Ohr bliesen und den gleich zwei Teufel, seine Knie und Füße umfassend, in die Tiefe rissen, während ein grüner, gelbgesichtiger Dämon in seinen Oberschenkel biss. Der arme Kerl hatte vor Grauen die Schultern zusammengezogen, seine rechte Hand griff zur linken Schulter. Den linken Unterarm hatte er angewinkelt und hielt die Hand vor das linke Auge, um es vor dem zu schützen, was er zu sehen bekommen würde. Sein rechtes Auge starrte schreckgeweitet auf das
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