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Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Mauerwerk eingelassen waren. Dann nahm er das Rapier vom Sattel und steckte es in sein Wehrgehänge. Als er an die Tür klopfte, öffnete sie sich sogleich. Sie war nur angelehnt gewesen. Da ihm niemand entgegenkam, ging er hinein.
    »Herr Graf! Pico!«, rief er mehrmals laut, erhielt aber keine Antwort. Weder im Vestibül noch in der Küche fand sich ein Mensch, obwohl im Herd noch ein Feuer brannte. Wo zum Teufel trieb sich der Hausdiener herum, wo war der Sekretär? Pico hatte den jungen Mann doch immer als Muster der Zuverlässigkeit gepriesen! Wo steckte denn nun der Hochgelobte?
    Bramante zermarterte sich das Hirn, aber er kam nicht mehr auf den Namen des Sekretärs. Mit unguten Vorahnungen stürmte er die Steintreppe zum studiolo hinauf. Wieder klopfte er an, niemand forderte ihn auf einzutreten. Er schob die mit reichen Schnitzereien versehene Eichentür auf. Picos Arbeitszimmer wirkte düster, weil die vielen Bücher in den Regalen und der große Schrank aus Ebenholz linker Hand den Raum kleiner erschienen ließen, als er tatsächlich war. Bramante stieg der scharf-säuerliche Geruch von Erbrochenem in die Nase.
    Der Hausherr saß an seinem Schreibtisch. Kopf und Oberkörper waren auf die Platte gesunken, so als ob der Graf über der Lektüre eingeschlafen wäre.
    »Bruder Giovan!«, sagte Bramante. Der Graf regte sich nicht. »Bruder Giovan«, rief der Architekt lauter. Dann ging er auf den Schreibtisch zu, schlug einen Bogen um die blassrosa Masse am Boden und berührte den Freund sacht an der Schulter. Picos Körper sackte in sich zusammen, rutschte vom Stuhl und schlug hart auf dem Boden auf. Leblos wie eine Gliederpuppe, Körperteil für Körperteil. Bramante bückte sich zu dem Freund hinunter und sah entsetzt in seine starren Augen. Sie waren kalt, kalt wie blauer Hyazinth und konnten doch den Irrsinn der Zeit nicht heilen. Nein, diese Augen gehörten nicht zu Pico, ihnen fehlte die Ironie, der freundliche Spott, die menschliche Wärme, die ihn ausgezeichnet hatte. Es waren die Augen eines anderen, eines Toten. Mit letzter Hoffnung nahm Bramante eine Schreibfeder vom Tisch und hielt sie dem Gelehrten vor den Mund. Nicht einmal der Flaum bewegte sich.
    Ein heftiges Schluchzen schüttelte seinen schweren Körper. Giovanni Pico della Mirandola atmete nicht mehr. Bramante konnte es kaum fassen. Lange starrte er reglos auf den Körper. Nur mühsam gelang es ihm, sich von dem Schock zu befreien, in den ihn der Schmerz versetzt hatte. Mit unterdrückter Wut machte er sich an die Untersuchung der Leiche. Zeichen äußerer Gewaltanwendung konnte er nicht feststellen. Eine Krankheit? Oder Gift? Die Farbe des ausgespuckten Mageninhalts ließ ihn zwar Letzteres vermuten, aber er war ja kein Arzt.
    Mit aller Zärtlichkeit, die ihm zu Gebote stand, drückte er dem Freund die Augen zu, dann betete er unter Tränen ein Vaterunser. Es fiel ihm nicht leicht, sich an den vollen Wortlaut des Gebets zu erinnern, obwohl sein Gedächtnis gerühmt wurde. Er mühte sich trotzdem, weil er glaubte, es diesem außerordentlichen Manne schuldig zu sein. Es schien, als sei Pico einsam gestorben, ohne einen Menschen, der ihm hätte Trost, ohne einen Priester, der ihm hätte Beistand leisten können. Wie traurig das alles doch war. Ausgerechnet er, den die Menschen geliebt hatten, war verreckt wie ein Hund!
    Nach einer Weile wischte sich der Architekt die Tränen ab und stand auf, um einen Arzt zu holen. Es dauerte lange, bis er einen Mann gefunden hatte, den er schließlich dank einer Mischung aus Geld und handfesten Drohungen überzeugen konnte, ihn zu Picos Haus zu begleiten.
    Während der Arzt den Toten untersuchte, inspizierte Bramante den Schreibtisch des Grafen. Ein wehmütiges Lächeln flog über sein Gesicht, als er eine kleine Zeichnung fand. Sie zeigt Pico als König Salomo und ihn selbst als dessen Baumeister Hiram. Er hatte sie ein Jahr zuvor für den Grafen angefertigt. Schmunzelnd hatte Giovan damals das Bild entgegengenommen und aus der Bibel zitiert: »Und Salomo sandte zu Hiram und ließ ihm sagen: Du weißt, dass mein Vater David nicht ein Haus bauen konnte dem Namen des Herrn, seines Gottes, um des Krieges willen, der um ihn her war … Siehe, so hab ich gedacht, dem Namen des Herrn, meines Gottes, ein Haus zu bauen, wie der Herr zu meinem Vater David gesagt hat: Dein Sohn, den ich an deiner statt auf deinen Thron setzen werde, der soll meinem Namen das Haus bauen.« Dann hatte er gutmütig und auch ein wenig

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