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Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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schöner, wenngleich bereits etwas verdorben wirkender junger Mann, vor einem Stück Marmor. Die Werkzeuge – Hammer, Meißel, die verschiedenen Eisen – lagen säuberlich aufgereiht rechts neben dem Stein. Michelangelo trat hinzu und beobachtete, wie Pietro mit dem Polierzahn die Rundungen der Nase an seiner Plastik nacharbeitete. Nach dem Modell zu schließen, das vor ihm stand, mühte sich Pietro redlich, den Kopf eines Saturns zu schaffen.
    Michelangelo musterte das mäßig gelungene Modell des Älteren und bedachte dessen noch dürftigere Ausführung in Marmor mit einem spöttischen Lächeln. Dann sah er zu seinem eigenen Marmorblock und verharrte einen Moment in stiller Konzentration, als lausche er einem unendlichen dünnen Stimmchen. Plötzlich blitzten seine Augen auf. Beherzt griff er zu Hammer und Spitzmeißel und begann, derart ungestüm auf den Stein einzuschlagen, dass die Splitter nur so absprangen und einige wohl auch Pietros Hand streiften. Dieser ließ von seiner Arbeit ab und beobachtete einen Moment lang den wild meißelnden Jungen.
    »Ach, Giolo, ohne Modell wird das nie was! Wie schade um den guten Marmor, dass er einem Anfänger wie dir in die Hände fällt«, rief er.
    »Warten wir’s ab, um wessen Marmor es am Ende schade gewesen sein wird«, knurrte Michelangelo zurück, ohne in seiner Arbeit innezuhalten.
    Pietro Torrigiani stutzte kurz wegen der Respektlosigkeit des Neulings, der erst seit wenigen Tagen in der Ausbildung war, und lachte ihn dann aus vollem Halse aus.
    »Kommt alle her«, rief er den anderen zu, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. Die übrigen Bildhauerschüler unterbrachen ihre Arbeit und scharten sich neugierig um die beiden Konkurrenten. Durch das Gelächter und die Rufe aufmerksam geworden, kam auch der alte Bertoldo ächzend herangestapft, um den Anlass für den kleinen Auflauf, der sich gebildet hatte, zu erfahren.
    »Dieser Hosenscheißer«, verkündete der schöne Pietro, »hat es gewagt, mich herauszufordern. Bilden wir ein Gericht: Du, Francesco, du, Jacopo, du, Andrea, und du, Giovan, findet euch dazu bereit! Und Ihr, ehrwürdiger Bertoldo, übernehmt bitte den Vorsitz. Wer in vier Tagen zur gleichen Stunde mit seiner Figur nicht fertig geworden ist oder das unvollkommenere Werk geschaffen hat, soll sich in die Mitte des Gartens stellen, sich aufplustern und eine volle halbe Stunde laut wie ein Hahn krähen, zur Strafe für seine Überheblichkeit.«
    Die vier Tage vergingen wie ein Wimpernschlag. Pietro postierte sich vor dem Kopf seines Saturns, strahlend im Vollgefühl des Sieges und unbändig stolz auf seine Arbeit. Michelangelo arbeitete noch, als Bertoldo ihm freundlich die Hand auf den Arm legte.
    »Die Zeit ist um, mein Sohn.«
    Michelangelo ließ den Bimsstein sinken und trat zurück. Wie ein Orkan brannte das Gelächter aus vielen Kehlen durch den Garten. Keinem der Bildhauerschüler – und auch Bertoldo nicht – gelang es, sich zu beherrschen. Was sie sahen, war auch zu komisch: Der Kopf eines alten Fauns spottete mit geöffnetem Mund über seinen Vater, über den von Pietro gemeißelten Saturn. Aber noch etwas anderes, wunderbar frech und perfekt, kam hinzu.
    »Das bist ja du, Pietro! Der alte, garstige Faun bist du!«, rief einer der Bildhauerschüler und brach erneut in brüllendes Gelächter aus. Die Blicke der anderen wanderten überrascht von Pietro zum Faun und wieder zurück. Tatsächlich hatte Michelangelo in dem zerzausten Faun ein Porträt von Pietro als altem Mann geschaffen.
    »Ein zweiter Donatello«, murmelte Bertoldo und schüttelte mit einem versonnenen Lächeln den Kopf.
    »Krähen! Krähen! Krähen!«, riefen die Lehrlinge, hielten sich die Bäuche vor Lachen und zeigten auf Pietro.
    Dieser war so wütend, dass es ihm kaum Mühe machte, eine solche Menge Luft zu holen, dass er einen roten Kopf bekam und zu platzen drohte. Sein zorniges Krähen musste weithin zu hören sein.
    In diesem Moment betrat Lorenzo de Medici in Begleitung seiner Kinder den Garten. Voller Ehrfurcht starrte Michelangelo ihn an. Er sah ihn zum ersten Mal und fand ihn eindrucksvoll – er war hässlich und faszinierend zugleich. Der Mäzen trug ein Gewand aus Goldbrokat. Seine Züge waren wie gemeißelt, und die Nasenspitze ragte umso kräftiger aus dem Gesicht, weil die Natur aus einer boshaften Laune heraus den Nasenrücken so sehr eingedrückt hatte, dass Lorenzo, wie allgemein bekannt war, über keinen Geruchssinn verfügte. Widerspenstige schwarze

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