Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
schoben so behände wie behutsam auf der Tafel Kristall und Goldgeschirr beiseite. Lorenzo setzte den Faun auf dem Tisch ab und studierte ihn mit schräg geneigtem Kopf.
Michelangelo stand da wie erstarrt. Im Schein der Kerzen und Öllampen erstrahlte der Saal in allen Farben der Welt.
Mit unbewegter Miene wandte sich Lorenzo an einen Mann, dessen Kleidung den Gelehrten verriet. »Was meint Ihr zu dem Faun, Agnolo?«
»So habe ich ihn mir zwar niemals vorgestellt, aber die Skulptur trifft alles, was ich über ihn weiß«, erwiderte der Angesprochene, ein Mann mit einer Hakennase und bis auf die Schulter reichenden Haaren, die sich über den abstehenden Ohren teilten. Es war der berühmteste Dichter der Stadt, Angelo Poliziano, der Lorenzos Söhne unterrichtete.
»Ein alter Faun, so wie auch wir bald alt sein werden, Agnolo, erst alt, dann Erde«, seufzte Lorenzo. Doch bevor er weiter Schwermütiges äußern konnte, hatte sich seine Tochter erhoben und war zu ihm getreten. Sie warf einen Blick auf den Faun, dann wandte sie sich an Michelangelo.
»Was soll das sein? Ein Aushängeschild für Barbiere und Zähnebrecher? Oder willst du lieber Bader statt Bildhauer werden?«, spottete sie, während ihre blauen Augen schelmisch lachten, Augen, die sie nicht von ihrem Vater, sondern von ihrer Mutter, Clarice Orsini, geerbt hatte. Oh, sie war zu gleichen Teilen Florentinerin und Römerin, welch gefährliche Mischung!
»Contessina, die Skulptur entspricht der Natur«, belehrte sie ihr Vater freundlich.
Contessina heißt sie also, dachte Michelangelo.
»Das mag schon sein, Vater, aber wenn die Natur nicht schön ist, will ich sie auch nicht sehen. Mir gefallen die mutwilligen Faune allemal besser als dieser alte, schäbige Kerl mit seinem traurigen Lächeln und lückenhaften Gebiss.«
Michelangelo kochte vor Wut. »Mit Verlaub, ist es nicht die Aufgabe der Kunst, die Natur nachzuahmen, ihr in allem ähnlich zu werden?«, fuhr er sie ungewollt heftig an. Sie sollte lieber schweigen, als Urteile zu fällen, die nur gelehrten Männern zustanden. Und überhaupt, was wusste ein Mädchen schon von der Kunst?
Contessina schienen seine heftigen Worte nicht im Mindesten zu beeindrucken. Ihre Miene konnte die Lust an dem Geplänkel kaum verhehlen.
»Hüte dich vor der scharfen Zunge meiner Schwester, Michelangelo«, rief ihm Giovanni de Medici vom anderen Ende der Tafel zu.
Die Warnung kam zu spät, denn Contessina setzte bereits zur Antwort an.
»Keineswegs, verehrter Zähnebrecher. Die Kunst soll Schönheit schaffen. Und schön ist sicherlich nur, was natürlich ist. Anderseits ist nicht alles Natürliche schön. Deshalb müsst Ihr auf die Wahl Eures Gegenstandes besondere Sorgfalt legen. Verschwendet nicht Euer junges Talent an alte Faune. Das wiederum wäre unnatürlich!«
Michelangelo verschlug es die Sprache. Und Contessina lachte über das ganze Gesicht. Natürlich, weil sie über ihn triumphiert hatte. Aber wenn der Sieg ein so himmlisches Lächeln hervorbrachte, dachte Michelangelo, einen so seraphischen Spott, dann wünschte er, künftig nur noch zu unterliegen und verhöhnt zu werden.
Lorenzo schmunzelte vergnügt. Offensichtlich liebte er es, wenn sich seine Kinder in den geistigen Wettstreit, den eigentlichen Zweck der Tafelrunde, einmischten und dabei zwischen all den erfahrenen Männern, klugen Frauen, Dichtern und Gelehrten eine gute Figur abgaben.
»Was denkt Ihr über den Streit der jungen Leute?«, wandte sich Lorenzo an den Dichter Poliziano.
»Sie haben beide recht und auch wieder nicht. Kunst muss einerseits der Schönheit huldigen und darf anderseits der Natur nicht widersprechen.«
»Ihr zieht Euch mit einem Paradoxon aus der Affäre«, rief ein Mann quer über die Tafel hinweg. Er war fast so schlicht gekleidet wie Michelangelo, aber um einiges älter und hatte ein gütiges Gesicht.
»Das ist Christoforo Landino, vielleicht der Klügste hier unter uns!«, flüsterte Piero.
Alles an Landino strahlte einen geistigen Adel aus, das fein geschnittene Antlitz, der schmale, zerbrechlich wirkende Kopf, die Haare aus grauweißem Samt. Michelangelo ertappte sich dabei, dass er unwillkürlich den Atem anhielt, um auch ja nichts von der Entgegnung des Dichters zu versäumen. Er spürte, dass es bei diesem Disput um ihn ging.
»Ganz und gar nicht, verehrter Cristoforo, denn Kunst soll die Natur übertreffen, ja soll sogar eine zweite, eine neue Natur schaffen – natura naturans –, die Natur des Himmels
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