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Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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es in der Architektur einzig darum, die Kraftlinien zu erkennen. Alles andere, Formung und Statik, ergab sich daraus. Aber war das Leben nicht Kraft? Und bestand nicht alle Baumeisterkunst darin, diese Kraft sichtbar zu machen? Und worin verbarg sich nun das Mysterium der Kraft? Ganz einfach – in der Bewegung. Sie erweckte alles, weil das Grundgesetz des Lebens sich in der Veränderung offenbarte.
    Michelangelo sank auf die Knie, hob die Hände zum Himmel und dankte Gott. Bei der Betrachtung des nebelverhüllten Gebirges hatte er die Wahrheit des Lebens erkannt, die das Grundgesetz der Kunst war. Kräfte, zum Tanzen gebracht, ergaben das Spiel des Lebens. Plötzlich begriff er, was er mit seinem Entwurf für das Grabmal des Papstes geschaffen hatte: ein Bauwerk als Allegorie auf die Welt. Wenn es auch für einen Toten erdacht war, so sollte es doch für die Lebenden errichtet werden. Er erhob sich und brachte es doch nicht fertig, seine Augen von den Bergen zu lösen. Es war wie eine Sucht. Er konnte sich an dem Gebirge einfach nicht sattsehen. Unter den Bäumen, Pflanzen und der Erde wuchs der heilige Stein, der Anfang und das Ende von allem. Höhlen in den Wänden, Senken, in denen das nach oben strebende Gebirge neue Kraft sammelte. Durch den Nebel und durch Bäume und Gestrüpp verwischte Konturen verstärkten in ihm nur das Gefühl, der großen Mutter, dem Alpha und Omega aller Dinge gegenüberzustehen. Im Zentrum war das Gebirge konkav wie eine Vulva.
    Michelangelo fühlte eine außerordentliche Erregung. Sein Gefühl verriet ihm, dass er dort die Steine für die Ewigkeit finden würde. Gleich hinter dem Dorf, näher als er vermutet hatte, reckten sich die Marmorfelsen in den Himmel. Ihre Gipfel waren von Nebel umlagert, der sich nun langsam hob, aber noch über dem Dorf dräute. Feucht und kalt war es, ein Wetter, um sich den Tod in die Knochen zu holen und die Gicht in den Körper.
    »Liegt da oben Schnee?«, fragte Francesco erstaunt.
    Michelangelo lächelte. »Nein, das Weiße dort, das an dem Berg wie ein erkalteter Fluss aus schmutzigem Silber glänzt, das ist der Marmor, der uns willkommen heißt. Wie züchtig er noch seine Pracht verbirgt, wie ein tugendhaftes Weibsbild seinen Körper vor dem Geliebten! Die schönsten Töchter ehrbarer Männer verstecken sich oft unter der ungelenken Tracht und dem Schleier einer Alten, du erkennst sie nur an den Bewegungen.« Er riss sich gewaltsam von dem verführerischen Panorama los und beendete den Gedanken nachdrücklich, indem er mit der Faust gegen die Tür des Hauses schlug, in dem nach Auskunft des Wirtes der Steinmetz Fritz il Rosso wohnte.
    Die Tür wurde aufgerissen, und vor ihnen stand ein stämmiger Mann mit wilden roten Haaren und einem malerischen Bart, der in der Morgensonne wie aus Kupferspiralen gezwirbelt schien. Seine Augen funkelten nicht eben freundlich.
    »Seid Ihr Fritz il Rosso?«, fragte Michelangelo.
    »Wer will das wissen?«, brummte der Mann feindselig.
    »Michelangelo Buonarroti, Bildhauer im Auftrag des Heiligen Vaters!«
    So schnell, wie die Tür zugeschlagen wurde, konnte der Bildhauer gar nicht schauen.
    Francesco pfiff durch die Zähne. »Oh, der ist ja regelrecht in unseren guten Julius verliebt.«
    Michelangelo ließ sich nicht verdrießen und pochte erneut an die Tür. Wieder wurde sie von dem Rothaarigen aufgerissen, doch diesmal hatte er einen riesigen Hammer in der Hand.
    »Was habt Ihr gegen den Papst?«, fragte Michelangelo streng.
    Der Marmorbrecher erhob drohend das Werkzeug. Unter dem groben Hemd zeichneten sich seine beeindruckenden Muskeln ab, die er in der täglichen Arbeit erworben hatte.
    »Gegen den Papst? Nichts! Aber gegen seine Bildhauer, die mit Ablässen statt mit Geld bezahlen. Wie soll ich meine Kinder mit Versprechungen satt bekommen, he?«
    Ein Lächeln breitete sich auf Michelangelos Gesicht aus. »Ich zahle bar und im Voraus.«
    Der Rothaarige ließ den Hammer fallen, der dicht neben seinem Fuß aufschlug, packte den verblüfften Bildhauer beim Kragen, zog ihn ins Haus und schlug die Tür vor Francescos Nase zu. Bevor dieser noch darüber nachdenken konnte, wie er sich verhalten sollte, ging die Tür wieder auf, und ein Bursche, der dem Rothaarigen ähnlich sah – die gleichen struppigen Haare auf Kopf, Wangen und Kinn, nur um einiges jünger –, ergriff unsanft seinen Arm und zerrte auch ihn ins Haus.
    »Dass Ihr Geld bei Euch habt, solltet Ihr nicht zu laut sagen. Die Steinebrecher sind zwar alles

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