Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
schlug die Augen nieder, weil er den Anblick dessen, was nun geschehen würde, nicht ertrug. Es war ein einfaches kurzes Bauernmesser mit einer kräftigen Klinge, mit dem Matteo dem gleichaltrigen Jungen die Kehle durchschnitt, aus der sich ein Strahl roten Blutes über den gelblich weißen Marmor ergoss und ihn färbte. Dem Marmor tat das nichts, man konnte ihn abschleifen.
Michelangelo schüttelte den Kopf. »Giovanni und du, ihr werdet beide im neunten Kreis der Hölle landen, wie Dante es beschrieben hat!«
»Das, Herr, liegt nicht in meinem und nicht in Eurem Ermessen, sondern allein an Gottes Richterspruch.« Matteo bückte sich fast geschäftsmäßig, riss den Fetzen beiseite, der Giovannis Scham bedeckte, trennte ihm mit dem Messer den Penis ab und warf ihn ins Tal. Michelangelo erstarrte, während Francesco sich übergeben musste. Mit seiner blutigen Hand reichte der junge Steinebrecher dem Diener die Weinflasche. Francesco würgte, ehe er nach der Flasche griff und einen großen Schluck nahm und dann noch einen zweiten. Allmählich kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück.
»Und seine Familie?«, fragte er.
»Die weiß, dass die Welt jetzt wieder im Gleichgewicht ist. So sind unsere Gesetze.«
»Was wird mit seiner Leiche?«
Matteo wies nur mit dem Kopf nach oben, zu den Raben.
»Keine Sorge, Herr«, wandte er sich dann an Michelangelo, »ich bringe ihn woandershin. Er wird Euch nicht beim Arbeiten stören.« Dann bückte er sich und lud sich behutsam den Toten auf die Schulter. »Ach, Vano, warum hast du das nur getan?«, murmelte er dabei mit Tränen in den Augen. »Du warst mein bester Freund, fast wie ein Bruder!«
In der Nacht plagten Michelangelo fürchterliche Traumbilder. Engel, die in die Posaunen der Vergeltung bliesen, der heilige Bartholomäus, der in der rechten Hand ein Messer hielt, das dem Matteos ähnelte und von dem Blut tropfte. In der linken Hand hielt der Heilige eine abgezogene Menschenhaut mit dem Gesicht des Bildhauers. Die Welt war bereits ein einziges Gericht. Michelangelo sah im Traum, wie alle Menschen zum Himmel strebten. Die meisten jedoch wurden ein Opfer der Teufel, die sie in die Hölle rissen. Er schrie so laut im Schlaf auf, dass jedermann im Haus hochschreckte. Zuerst war Francesco bei ihm, der in der Kammer neben ihm schlief.
»Was ist mit Euch, Herr?«, fragte er und beugte sich besorgt über ihn.
Durch seinen eigenen Schrei geweckt, blickte sich Michelangelo verwirrt um, dann fasste er sich.
»Nichts, nichts«, stammelte er.
»Aber Ihr schwitzt ja.« Francesco wischte ihm mit einem Tuch den Schweiß ab und legte die Hand auf seine Stirn. »Euer Kopf glüht!«
In der offenen Tür der niedrigen Kammer erschien die mächtige Gestalt des Steinmetzen. Er musste Kopf und Schultern einziehen, damit er nicht anstieß.
»Den Herrn verbrennt das Fieber!«, rief ihm Francesco mit angsterfüllter Stimme entgegen.
»Ich sage meiner Frau, sie soll kalte Wadenwickel vorbereiten«, entschied Fritz und begab sich hinunter, um das Notwendige anzuordnen.
Eine Woche ging ins Land, in der Michelangelo nur trockenes Brot und moussierenden Wein bei sich behielt. Anna kümmerte sich rührend um ihn, aber sie sprach dabei kein einziges Wort. Und sie lächelte nicht. Der Bildhauer fühlte sich schwach, und jede Faser im Leib schmerzte ihn. Noch immer schrie er, gepeinigt von den Schreckbildern im Schlaf, häufig auf. Man musste um sein Leben fürchten. Sie hatten einen Arzt aus Carrara zurate gezogen, der empfahl, den Kranken mehrmals kräftig zur Ader zu lassen. Fritz behagte das nicht, und so schickte er nach der alten Annunziata, einem vertrockneten Weiblein, das sich in allerlei Dingen des menschlichen Körpers auskannte. Sie riet, den Kranken vor Zugluft zu schützen, warm zu halten und recht viel zum Schwitzen zu bringen, damit der böse Geist, der in ihm hauste und die bösen Träume machte, vertrieben würde. Einmal am Tag solle er heißen Rotwein, mit Grappa, Ei und Honig versetzt, trinken, in den getrocknete Kräuter, Ringelblume, Salbei und Kamille gegeben wurden. Dazu täglich mindestens zwei Liter von einem Tee aus Zitronenmelisse, Johanniskraut und Tausendgüldenkraut.
Michelangelo, dem man ein Bett in der großen Wohnstube gerichtet hatte, fürchtete sich inzwischen vor dem Schlaf, der den Albdruck brachte. Er tat alles, um seine Augen, die immer glasiger und größer wurden, offen zu halten, und vergeudete damit seine letzte Kraft.
Francesco und die Familie des
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