Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
Vom Netzwerk:
diesem Zweck hatte Michelangelo mit einem Reeder aus Lavagna einen Vertrag über den Schiffstransport geschlossen.
    Der Bildhauer untersuchte pedantisch genau die Äderung des Gesteins an der Sohle des Steinbruchs, der einem umgestülpten Trichter glich. Er erinnerte Michelangelo an Botticellis Darstellung der Hölle in der Ausgabe der »Divina Commedia«, die er seinerzeit von Landino geschenkt bekommen hatte und in der er fast täglich las. Nach eingehender Prüfung malte er schließlich mit dem Zeigefinger ein imaginäres Rechteck an die Felswand, um die Größe des zu brechenden Brockens darzustellen.
    »Diesen!«, sagte er und wies auf die Stelle.
    Während Francesco und Matteo den Block, der später herausgebrochen werden sollte, durch eingeschlagene Eisen markierten, kletterte der Bildhauer, die Tasche mit seinen Skizzenutensilien über der Schulter, auf einen kleinen Sporn. Nachdem er den Fels Zoll für Zoll eingehend betrachtet hatte, liebkoste seine Hand den Marmor, und ein hingerissenes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Der Stein war makellos, nicht eine Ader deutete auf Fremdkörper oder Risse im Gestein hin – es war der schönste Marmor, den er je gesehen hatte. Hieraus wollte er seinen Moses für das Grabmal hauen! Er dachte darüber nach, den Block gleich an Ort und Stelle zu bossieren, sobald er aus dem Felsen gebrochen war, als ihn ein unbestimmbares Geräusch aus seinen Überlegungen riss.
    Etwa zwölf Fuß unter ihm stand auf einem winzigen Felsplateau Giovanni, der junge Bursche, den er in der Kirche gesehen hatte. Unwillkürlich wich die fast nackte Gestalt unter Michelangelos Blick zurück bis auf die Spitze des Vorsprungs. Sein verfilztes Haar stand in alle Richtungen ab, und auf seine Stirn hatte der Schmutz dunkle Furchen gezeichnet. Sein Blick war womöglich noch verwirrter geworden, als verfolgten ihn die rachedurstigen Erinnyen, die in seinem Herzen hausten. Gebückt stand der Junge da, die Schultern eingezogen, die rechte Hand in der linken Armbeuge. Mit der linken Hand bedeckte er sein linkes Auge, während das rechte schreckgeweitet auf den Bildhauer starrte. Die Unterlippe hatte er leicht nach vorn geschoben. Nie hatte Michelangelo einen vollkommeneren Ausdruck des Erschreckens gesehen, in dem sich das Entsetzen über das eigene Tun ebenso spiegelte wie die Angst davor, was unweigerlich folgen musste.
    Mit langsamen Bewegungen, als wolle er verhindern, einen scheuen Vogel zu verscheuchen, holte er Skizzenblock und Bleigriffel hervor und begann zu zeichnen. Nur das Krächzen der Raben unterbrach von Zeit zu Zeit die vollkommene Ruhe. Wie der Junge dort hingelangt war, was er dort wollte und weshalb er dort wie erstarrt stand, sah man vom Zittern der Lippen ab, interessierte Michelangelo nicht, auch nicht, welchem Zufall er dieses Bild verdankte. Er zeichnete nur und zeichnete.
    Als er die Skizze fertiggestellt hatte, fragte er sanft: »Was ist, mein Junge?« Obwohl der Angesprochene schwieg, spürte Michelangelo, dass er ihn verstanden hatte. Nach einer kleinen Ewigkeit bewegten sich die Lippen, aber es kam kein Ton heraus. Lautlos, er sprach lautlos, er schrie lautlos um Hilfe.
    »Ich verstehe dich. Du bereust, was du getan hast.«
    »Gott ist schuld!«, flüsterte Giovanni.
    »Gott?« Michelangelo fröstelte.
    »Gott ist der Teufel!«, krächzte der Junge nun lauter.
    Was würde er noch zu hören bekommen? Michelangelos Herz krampfte sich zusammen. Zwar stand es ihm frei, den Jungen schlicht für verwirrt zu halten, aber glaubten nicht die alten Griechen, dass aus dem Mund der Wahnsinnigen die Wahrheit kam, freilich als Orakel?
    »Wie konnte er Anna an dem Morgen allein an den Bach stellen? So schön! So schön im Morgenlicht. Wie konnte er nur als Bock in mich fahren?«, brachte Giovanni heiser hervor.
    »Wer?«
    »Gott!«
    »Du meinst doch sicher den Teufel, mein Sohn.«
    Giovanni schüttelte den Kopf. »So schön und so rein kann der Teufel nicht sein. Gott hat mich verführt!«
    In diesem Moment erklommen Matteo und Francesco den Sporn und traten neben Michelangelo. Als der Bruder des geschändeten Mädchens den Täter erblickte, zog er sofort das Messer und kletterte zu ihm hinunter.
    »Nein, nein, tu das nicht, Matteo!«, rief Michelangelo.
    Der Junge jedoch sah Annas Bruder unverwandt an und rührte sich nicht. Je näher ihm Matteo kam, umso zärtlicher wurde sein Blick und drückte Einverständnis aus. Ergeben und glücklich wie ein Hund, dachte Michelangelo und

Weitere Kostenlose Bücher