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Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Steinmetzen gaben alle Hoffnung auf und wollten schon nach dem Pfarrer schicken, als Anna sich mit unbewegtem Gesicht zu dem Kranken setzte und ihm einfache, schlichte Weisen vorsang. Es waren Bauern- und Steinmetzlieder, die von Feldern und Wölfen, von den Steinen, von gierigen Pfarrern und gewitzten Bauern, vor allem aber von der Liebe handelten. Michelangelo nahm die Bilder der Lieder mit in den Schlaf, wo sie wie mutige kleine Ritter die Fratzen des Bösen vertrieben. Zum Erstaunen und zur Erleichterung aller fand er allmählich wieder zur Ruhe. Vielleicht begannen auch die Kräuter zu wirken.
    Zwei Wochen später erhob sich der Bildhauer von seinem Krankenlager, bat um eine Fleischbrühe und verkündete, er wolle zur Kirche gehen. Nachdem er die heilige Messe gehört hatte, wünschte er, seine Arbeit fortzusetzen. Es verlangte ihn danach, das Mädchen Anna zu malen, aber sie ließ es nicht zu. Liebend gern hätte er die Unschuld gezeichnet, aber sie war zu rein und unschuldig, als dass sie dies erlaubt hätte. Schließlich gab er es auf, in sie zu dringen. Er widmete sich wieder seiner Arbeit und ging vollkommen darin auf. Wie gut tat es, wieder im Steinbruch zu sein!
    Eine Frage quälte ihn indes noch immer. Aus welchem Grund hatte Giovanni geglaubt, dass Gott ihn verführt habe und nicht der Teufel? So viel und so oft Michelangelo auch darüber nachsann, er konnte nicht ergründen, was den Jungen auf diesen Gedanken gebracht hatte. Andererseits gelang es ihm auch nicht, das Ganze als Geplapper eines Verrückten abzutun. Gott ist schuld – wie ein Stachel im Fleisch verhakte sich dieser Satz in seinem Denken.
    Rom, Anno Domini 1505
    Den ganzen Tag, die ganze Nacht und auch den nächsten Tag und die darauffolgende Nacht hatte Bramante mit Blei- und Rötelstiften Skizzen auf ein großes Pergament gezeichnet. Es gelang ihm nur selten, zwischendurch ein wenig Schlaf zu erhaschen, denn sein Gehirn gab keine Ruhe. Selbst wenn ihm die Augen zufielen, vermochte er sie nicht geschlossen zu halten. Während der Arbeit plagte ihn immer wieder die Gicht. Manchmal, wenn er freihändig oder mit dem Lineal eine Linie zog, schrie er vor Schmerzen auf. Zuweilen sah er sich gezwungen, die gesunde linke Hand zu Hilfe zu nehmen, um mit der gichtigen Hand, so gut es ging, die Linie zu halten. Auf diese Weise hatte er inzwischen den halben Vierungsraum mit dem Westchor und den ebenfalls halben Kreuzarmen entworfen.
    Er lehnte sich zurück und betrachtete eine Weile die unfertige Zeichnung. Er würde sie nicht vollenden, fuhr es ihm durch den Kopf. Nicht Zeitgründe waren es, die ihn zu diesem Entschluss brachten. Nein, es war das Zwingende, vor allem Bezwingende, das von dieser halb fertigen Skizze ausging. Sie schrie förmlich nach Fertigstellung, nicht nur auf dem Papier, sondern als Bauwerk in der Welt. Konnte er etwas Besseres bei Julius II. hervorrufen als diese Sehnsucht?
    Bramantes Augen blitzten auf, als er seinen Gedanken weiterspann, und sein Gesicht nahm den Ausdruck diebischer Freude an. Das Fragment hatte noch einen ausgesprochen vorteilhaften Nebeneffekt, indem es die Frage der alten Basilika weitgehend offenließ. Würde er die andere Hälfte des Entwurfs in gleicher Weise wie die bereits fertiggestellte ausführen, dann würde der Plan seine Absicht verraten. So aber konnte er lange argumentieren, dass der Zentralbau in den Langbau der alten Kirche münden solle. Und während die Diskussion darüber andauerte, konnte er vollendete Tatsachen schaffen.
    Das Allerwichtigste aber war, dass dieses Fragment Größe ausstrahlte. Mit Speck fängt man Mäuse und mit imperialen Ideen den Papst, sagte sich der Baumeister, als er den Plan verpackte und sich auf den Weg zum Vatikanpalast machte.
    Mit einer großen Rolle unter dem Arm, zwei Ellen lang, ging er eilig in Richtung Petersdom, fast lief er. Als er auf dem Vorplatz der Basilika ankam, umfasste sein Blick triumphierend das alte, heruntergekommene Gemäuer. Für ihn war es bereits Geschichte. Bald schon würde er diese wild gewachsenen Mauern niederlegen und einen neuen, größeren und schöneren Dom errichten.
    Nicht einen Augenblick lang tat es ihm leid um das alte Bauwerk, das in seiner Geschichte schon so vieles gesehen hatte: Andacht, Krönung, Plünderung und Krieg, Heilige und Teufel und sogar den stinkenden Leichnam eines Papstes, den man aus dem Grab gerissen und in das Ornat gekleidet hatte, um über den Verwesenden Gericht zu halten, Sünde und Tugend,

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