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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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Jack Sheppards Fähigkeiten als Ausbrecher war noch in vollem Gange, als Kitty sich abwandte und wieder ihre Kutsche bestieg. Dabei traf ihr Blick auf ein braunes Augenpaar in der Menge, das ihr seltsam vertraut erschien. Erschauernd hielt sie inne und musterte die Menschen, die sich um die Marktstände drängten. Doch sie entdeckte kein bekanntes Gesicht. Sie musste sich getäuscht haben. Verwirrt öffnete sie den Schlag und stieg ein. Brooks ließ die Peitsche knallen, und die Pferde setzten sich in Bewegung. Während der Fahrt nach St. James versuchte Kitty angestrengt, sich die braunen Augen ins Gedächtnis zurückzurufen, doch der Eindruck war so flüchtig gewesen, dass sie es schließlich aufgab. Vielleicht hatte ihr Blick einen ehemaligen Freier gestreift, an den sie sich nicht mehr erinnerte.
    In ihrem Haus angekommen, begrüßte Sam sie mit einem Kuss auf die Wange.
    »Mistress Bell hat nach dir gefragt«, sagte er. »Offenbar fühlt Helen sich nicht wohl.«
    Obwohl Kitty hungrig war, entschied sie sich, sogleich nach ihrer Tochter zu sehen. Helen lag im Bett und schlief. An ihrer Seite saß die Kinderfrau.
    »Was hat sie denn?«, fragte Kitty.
    »Die Kleine fiebert ein wenig«, erwiderte Mistress Bell. »Außerdem hustet sie schon den ganzen Tag, und ihre Augen sind gerötet.«
    »Vielleicht hat sie sich am Sonntag erkältet. Es war recht kühl und nass draußen.«
    »Das denke ich auch, Madam. Ich habe ihr heiße Brühe zu trinken gegeben. Seitdem schläft sie.«
    »Morgen geht es ihr sicherlich schon wieder besser«, sagte Kitty zuversichtlich.
    Am nächsten Morgen verbreitete sich eine sensationelle Neuigkeit wie ein Lauffeuer in den Straßen von London. Während der Nacht hatte Jack Sheppard das Unmögliche möglich gemacht und war aus dem Newgate ausgebrochen. Allerorts gaben die Bänkelsänger ihre eilig geschmiedeten Verse über das unfassbare Geschehen zum Besten. In dichten Trauben drängten sich die Schaulustigen um das Gefängnis und ließen sich durch die düsteren Gänge des Kerkers führen, um Sheppards Zelle zu besichtigen. Bald machten Einzelheiten die Runde. Auf seinem Weg auf das Dach des Torhauses hatte der Ausbrecher sechs eisenbeschlagene, von außen mit schweren Schlössern gesicherte Türen überwunden, ohne Werkzeug, ohne Lichtquelle und ohne dass einer der Schließer etwas bemerkt hatte. Nachdem Sheppard auf das Dach gelangt war, hatte er festgestellt, dass er ein Seil benötigte, um sich auf die Straße hinunterzulassen. Und so war er den gesamten Weg in seine Zelle zurückgekehrt und hatte die Laken und Decken von seiner Bettstatt geholt. Die Kaltblütigkeit seines Vorgehens machten Jack Sheppard zum Helden des Volkes. In den Schenken stießen die Menschen auf ihn an und feierten die Dreistigkeit, mit der ein kleiner Dieb die Obrigkeit an der Nase herumgeführt hatte.
    Der Weinhändler brachte die Neuigkeit in das Haus auf der King Street. Doch Kitty lauschte seinem Bericht nur mit halbem Ohr, während sie die Anlieferung der Fässer überwachte. In Gedanken war sie bei ihrer Tochter, deren Fieber kaum abgesunken war. Nachdem sich der Weinhändler enttäuscht über ihr mangelndes Interesse verabschiedet hatte, kehrte Kitty an Helens Lager zurück.
    Die Kleine klagte nun auch über Schnupfen und Kopfschmerzen, gab sich aber tapfer und versicherte ihrer Mutter, dass sie bald wieder gesund sein würde. Nach drei Tagen schien sich die Vermutung, dass Helen lediglich eine starke Erkältung durchmachte, zu bestätigen. Das Fieber ging zurück, und das Mädchen wurde wieder munterer. Auch der Husten und die Halsschmerzen ließen nach, nur die Entzündung an den Augen wollte sich nicht bessern. Meister Hearne verordnete Helen weiterhin Bettruhe und leichte Kost.
    Am folgenden Abend suchte Mistress Bell Kitty in der Studierstube auf und teilte ihr mit, dass Helen erneut Fieber hatte.
    »Aber es ging ihr doch besser«, bemerkte Kitty besorgt.
    »Der Husten will auch nicht vergehen, Madam. Und die Kleine hat noch dazu Ohrenschmerzen«, fügte die Kinderfrau hinzu.
    Sam, der den Wortwechsel von der Tür her mit angehört hatte, fragte: »Soll ich Meister Hearne herholen?«
    »Ja, ich denke, es würde mich beruhigen, wenn er noch einmal nach ihr sieht«, stimmte Kitty zu.
    Der Wundarzt untersuchte Helen nochmals gründlich und machte ihre Mutter auf einen Ausschlag hinter den Ohren des Mädchens aufmerksam.
    »Es sind die Masern«, erklärte er. »Sie gehen zurzeit überall im Land um, wie ich

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