Die Kurtisane des Teufels
schrecklichen Erfahrungen in dem Haus auf der Dyott Street zog sie es vor, sich selbst davon zu überzeugen, dass bei den Bauarbeiten nicht gepfuscht wurde.
Nachdem sie sich von dem Architekten verabschiedet hatte, bestieg Kitty ihre Kutsche und ließ sich nach Hause fahren. Wie sooft in den letzten Monaten bat sie Brooks, einen kleinen Umweg über die Piazza von Covent Garden zu machen. Es bereitete ihr Freude, nach alten Bekannten Ausschau zu halten. Zuweilen ließ sie ihren Kutscher anhalten, um Philip-im-Kübel beim Vortragen einer Ballade zu lauschen und ihm etwas Geld zuzustecken, oder sie kehrte in »Tom Kings Kaffeehaus« ein und plauderte mit Moll.
Als sich die Kutsche gemächlich über den Platz bewegte, fiel Kitty auf, dass eine seltsame Stimmung unter den Menschen herrschte. Das erste Mal seit langem erregte ihr Auftauchen kaum Aufmerksamkeit. Die Obst- und Gemüsehändler und ihre Kunden steckten die Köpfe zusammen und diskutierten eine offenbar außergewöhnliche Neuigkeit. Kitty rief Brooks zu, er solle anhalten, und ließ das Fenster herunter.
»Was gibt’s?«, rief sie einem Sänftenträger zu, der in der Nähe auf einem Pfosten saß.
»Habt Ihr’s noch nicht gehört, Miss Montague?«, erwiderte der Ire erstaunt. »Blueskin Blake hat dem großen Jonathan Wild heute Morgen im Gerichtsgebäude am Old Bailey mit einem Messer die Kehle angeritzt.«
»Tatsächlich?« Kittys Herz begann, aufgeregt zu schlagen. »Ist er tot?«
»Nein. Wild hatte Glück, dass Blakes Messer stumpf war«, erklärte der Sänftenträger. »Drei Wundärzte, die bei Gericht waren, um in einem anderen Prozess eine Aussage zu machen, flickten ihn wieder zusammen, halfen ihm in seine Kutsche und rieten ihm, eine Woche das Bett zu hüten.«
»Das heißt, Mr. Wild wird überleben?«
»Sieht so aus, als würde er uns noch eine Weile erhalten bleiben«, meinte der Ire. »Im Gegensatz zu Blueskin. Man hat ihn erwartungsgemäß zum Tode verurteilt. Er wird zusammen mit seinem Kumpel Jack in Tyburn den Paddington Frisk tanzen.«
»Falls es Jack nicht ein weiteres Mal gelingt, aus dem Gefängnis auszubrechen!«, warf eine Marktfrau ein.
»Das ist unmöglich«, rief ein fein gekleideter Bürger. »Ich habe Jack Sheppard im Newgate aufgesucht. Man hat ihn in eine Zelle gesperrt, aus der es kein Entkommen gibt, und ihn so mit Ketten beladen, dass dieser Hänfling sich nicht einmal mehr aufrichten kann. Diesmal wird er nicht entwischen!«
»Das werden wir ja sehen«, widersprach die Marktfrau überzeugt.
Amüsiert lauschte Kitty dem Streit. Der Ausbrecherkönig Jack Sheppard spaltete die Gemüter. Sheppard war ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, dünn wie eine Bohnenstange, aber nur fünf Fuß vier Zoll groß. Im Grunde war er nur einer der unzähligen Diebe und Räuber, die die Straßen von London unsicher machten. Doch die Tatsache, dass es ihm gelungen war, bisher aus jedem Gefängnis auszubrechen, in das man ihn gesperrt hatte, machte ihn zu einer Berühmtheit. Mit Blueskin Blake als Partner hatte Sheppard mehrere Einbrüche und einige Überfälle auf Kutschen verübt. Zwangsläufig war auch Jonathan Wild auf ihn aufmerksam geworden und hatte Jagd auf ihn gemacht. Ende Juli war es dem Diebesfänger dann gelungen, Sheppard zu verhaften. Nachdem dieser zum Tode verurteilt worden war, entfloh Jack jedoch eines Abends mit Hilfe seiner Freundin Edgworth Bess aus der Todeszelle des Newgate. Zehn Tage später konnte der Kerkermeister mit einem Trupp bewaffneter Reiter den Flüchtigen auf dem Finchley Common wieder einfangen, während Blueskin Blake von Jonathan Wild verhaftet wurde.
Nach ihrem Prozess hatte sich Kitty vorgenommen, mit der Vergangenheit abzuschließen und nicht mehr an den Diebesfänger zu denken, doch dies erwies sich als unerwartet schwierig. Es musste etwas Wahres an Jonnys Vermutung sein, dass Jonathan Wild sie bewunderte. Denn hin und wieder schickte er ihr kleinere Aufmerksamkeiten wie einen teuren Wein oder eine außergewöhnlich feine Spitze. Aus Angst, ihn zu verärgern, nahm Kitty die Geschenke an und sandte ihm stets ein höfliches Dankschreiben. Zu ihrer Erleichterung machte der Diebesfänger aber nie einen Versuch, sie persönlich zu treffen. Vermutlich war er sich bewusst, dass der Standesunterschied zwischen ihm und Kittys Freiern zu groß war, als dass er hoffen konnte, selbst einmal zu ihren Kunden zu zählen.
Die Diskussion zwischen der Marktfrau und dem bürgerlich gekleideten Herrn über
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