Die Kurtisane des Teufels
damals nach dem Überfall im Hyde Park, als er deinen Bruder der Justiz als Sündenbock lieferte. Nach dem Überfall auf dich war ich dumm genug, weiterhin für Wild zu arbeiten. Doch irgendwann muss er dahintergekommen sein, dass ich es war, der seinen Plan, dich zum Schweigen zu bringen, vereitelt hatte. Ich hatte ihn verraten und sollte seine Rache zu spüren bekommen. Als ich an jenem Tag im Januar den Auftrag bekam, mit zwei anderen Dieben eine Kutsche in Lambeth auszurauben, ahnte ich nicht, dass ich in eine Falle lief. Die beiden Räuber lieferten mich ans Messer. Ich wurde verhaftet und ins Marshalsea-Gefängnis gebracht. Ich wollte dir mitteilen, was geschehen war, hielt es aber für zu gefährlich, eine Nachricht zu dir nach Clerkenwell zu schicken. Ich fürchtete, sie könnte Jonathan Wild in die Hände fallen. Deshalb sandte ich den Brief an Susannah, die ihn dir überbringen sollte. Außer ihr wusste niemand, wo wir wohnten.«
»Du konntest nicht ahnen, dass Susannah deine Nachricht unterschlagen würde«, sagte Kitty einsichtig.
»Es war eine Qual für mich, nicht zu wissen, wie es dir erging«, sagte Daniel. »Der Prozess wurde in Kingston abgehalten, da der Überfall in der Grafschaft Surrey stattgefunden hatte. Dort kannte ich niemanden, den ich hätte bitten können, nach dir zu suchen, als du aus der Wohnung in Clerkenwell ausgezogen warst.«
»Jetzt verstehe ich auch, weshalb in Covent Garden niemand wusste, was aus dir geworden war«, bemerkte Kitty. »Wärst du vor das Gericht am Old Bailey gestellt worden, hätte ich irgendwann davon erfahren …« Ihre Stimme versagte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. All die Jahre hatte sie in quälender Ungewissheit gelebt, hatte sich immer wieder gefragt, ob Daniel lebte oder tot war, ob er sie verlassen hatte oder einem Unglück zum Opfer gefallen war.
»Das war kein Zufall«, stieß sie hervor. Ihre Zähne knirschten vor Wut aufeinander. » Er hat das so eingefädelt, damit deine Freunde und vor allem ich niemals erfahren würden, was dir zugestoßen war. Jonathan Wild wollte dich verschwinden lassen, um alle anderen, die mit dem Gedanken spielten, sich gegen ihn aufzulehnen, in Angst und Schrecken zu versetzen.«
»Das denke ich auch«, stimmte Daniel zu. »Er war bei meinem Prozess zugegen und lächelte mir abfällig zu, als ich zu vierzehn Jahren Verbannung nach Virginia verurteilt wurde. Auf dem Schiff, das mich nach Annapolis brachte, war auch Susannah, die sieben Jahre wegen Diebstahls bekommen hatte. Während der gesamten Überfahrt hielt sie die Lüge aufrecht, dass du mich nicht hattest sehen wollen. Immer wieder versuchte sie, mich zurückzugewinnen. Sie wollte nicht begreifen, dass es aus war zwischen uns.«
»Was ist aus ihr geworden?«, fragte Kitty. Zu ihrem Ärger fühlte sie, wie sich ihre Wangen selbst nach so langer Zeit noch vor Eifersucht röteten.
»Bei der Ankunft wurden wir getrennt. Ich weiß nicht, wie es ihr ergangen ist oder ob sie überhaupt noch lebt. Wir wurden wie Sklaven verkauft. Ein Plantagenbesitzer bezahlte dreizehn Pfund für mich. Die nächsten vier Jahre arbeitete ich auf seinen Tabakfeldern am Rappahannock-Fluss. Vor zwei Monaten gelang mir die Flucht, und ich kehrte nach England zurück.«
»Wie hast du mich gefunden?«
»Vor zehn Tagen sah ich dich in deiner Kutsche auf der Piazza. Zuerst wollte ich meinen Augen nicht trauen. Das kleine Mädchen vom Lande, das ich zurückgelassen hatte, war zur gefeierten Schönheit geworden.«
Beschämt senkte Kitty den Blick. Er hatte es nicht ausgesprochen, aber er musste gehört haben, auf welche Weise sie zu Wohlstand gekommen war. Sicherlich verachtete er sie dafür.
Das Schweigen, das zwischen ihnen entstanden war, wurde quälend. Schließlich ergriff Daniel erneut das Wort und fragte zögernd: »Das kleine Mädchen, das gestorben ist … War sie meine Tochter?«
Kitty hob ihren tränenverschleierten Blick zu ihm und nickte.
»Ja … ihr Name war Helen. Sie war ein kleiner Wildfang … ganz ihr Vater.«
»Es tut mir so leid«, sagte Daniel leise.
Schmerz und Verzweiflung überwältigten Kitty. Schluchzend vergrub sie das Gesicht in den Händen und ließ den Tränen freien Lauf. Sie hörte Daniels Schritte auf den polierten Holzbohlen des Fußbodens widerhallen. Als sie den Kopf hob und sich die Augen trocknete, bemerkte sie, dass er fort war.
»Daniel?«
Suchend wandte sie sich um, doch er hatte den Salon verlassen. Hastig stürzte sie in die
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