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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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hörte. Es gibt kein Heilmittel dagegen. Helen braucht vor allem gute Pflege.«
    »Das werde ich selbst übernehmen«, entschied Kitty. »Ihr könnt Euch eine Weile ausruhen, Mistress Bell. Ich rufe Euch, wenn ich Euch brauche.«
    Am Abend stieg das Fieber stark an. Meister Hearne ließ Helen zur Ader, um es zu senken. Für eine Weile ging es dem Mädchen besser, und die Kinderfrau erzählte der Kleinen eine Geschichte, die sie ein wenig aufheiterte.
    Im Laufe des nächsten Tages breitete sich der Ausschlag über Helens ganzen Körper aus, und sie hustete immer wieder gelblichen Schleim ab. Obgleich Kitty und Mistress Bell sich am Krankenlager des Mädchens abwechselten und unermüdlich Stirn und Hals mit feuchten Tüchern kühlten, blieb das Fieber erschreckend hoch. Meister Hearne war ratlos und empfahl der beunruhigten Mutter schließlich, einen gelehrten Arzt hinzuzuziehen. Einer von Kittys Kunden nannte ihr den Namen eines Arztes, der in der Nähe wohnte. Der Medikus begab sich jedoch nur mit deutlichem Widerwillen über die Schwelle eines verrufenen Hauses. Nach einer kurzen Untersuchung des Kindes riet er zu einem weiteren Aderlass und einem kühlenden Klistier. Die Durchführung überließ er dem Wundarzt.
    Doch bald wurde klar, dass Helens Lunge befallen war. Über die nächsten Tage wurde sie deutlich schwächer. Hilflos mussten ihre Mutter und der Wundarzt mit ansehen, wie der kleine Körper zusehends verfiel. Schließlich sank sie in tiefe Bewusstlosigkeit. Kitty, die an ihrem Bett wachte, lauschte auf die angestrengten Atemzüge ihrer Tochter. Das erste Mal seit Jahren wandten sich ihre Gedanken Gott zu, und sie betete ein wenig unbeholfen für Helens Genesung.
    In den frühen Morgenstunden verlor Kitty den Kampf gegen Müdigkeit und Erschöpfung, und ihr Kopf sank auf ihre Arme, die sie auf der Bettkante verschränkt hatte. Als Mistress Bell sie wenig später weckte, herrschte eine gespenstische Stille in der Kinderstube. Helen hatte aufgehört zu atmen.

38
    Mit brennenden Augen starrte Kitty auf das offene Grab hinab, in dem man den kleinen Sarg versenkt hatte. In den letzten Tagen hatte sie unablässig um ihre Tochter geweint, bis sie keine Tränen mehr hatte. Ohne Sams Unterstützung hätte sie die schwere Zeit nicht überstanden. Ohne sich aufzudrängen, war er stets an ihrer Seite gewesen, hatte sie getröstet oder sie einfach nur schweigend in den Arm genommen und sie sanft gewiegt. Lucy war von dem Putzmacherladen auf der Little Russell Street, den sie für Kitty führte, herübergekommen und hatte nach dem Rechten gesehen. An Kittys Stelle empfing sie die Freier, die der leidgeprüften Mutter ihr Mitgefühl aussprachen. Einige von ihnen nahmen sogar an Helens Bestattung auf dem Kirchhof von St. James teil.
    Kitty blieb noch eine Weile am Grab stehen, während die Totengräber begannen, es mit Erde zuzuschütten. Schließlich wandte sie sich ab und ging langsam zu ihrer Kutsche zurück, in der Sam und Lucy auf sie warteten.
    Als Kitty über die Schwelle ihres Hauses trat und den schwarzen Schleier zurückschlug, räusperte sich der Lakai, der ihr die Tür geöffnet hatte, und sagte mit sichtlichem Unbehagen:
    »Ihr habt einen Besucher, Madam. Er wartet im Salon.«
    »Schick ihn weg. Ich will niemanden sehen«, erwiderte Kitty bedrückt. Sie fühlte sich müde und kraftlos.
    »Meister Hearne hat ihn mitgebracht, Madam«, rechtfertigte sich der Laufbursche. »Er schien sicher zu sein, dass Ihr den Besucher zu sehen wünscht.«
    Verwundert und ein wenig verärgert über Meister Hearnes Entscheidung, sie gerade an diesem Tag mit einem Gast zu überraschen, wandte sich Kitty in Richtung Salon. Die Tür war offen. Am Kamin unter ihrem Porträt von Sir Godfrey Kneller stand der Wundarzt und fuhr sich nervös mit der Hand über den Nacken. Als er sie eintreten sah, straffte er sich.
    »Madam …«
    »Was habt Ihr Euch dabei gedacht, ausgerechnet heute Besuch mitzubringen?«, platzte Kitty heraus.
    In diesem Moment bemerkte sie den Mann am Fenster, der sich ihr zuwandte und sie schweigend anblickte. Er war in einen einfachen dunklen Rock und eine schmucklose Weste gekleidet. Sein Haar war von der Sonne gebleicht und fiel ihm wirr auf die Schultern, und sein Gesicht war braun gebrannt, als habe er viele Jahre in südlichen Gefilden verbracht.
    Ein Matrose vielleicht, dachte Kitty. Oder ein Plantagenbesitzer aus den Kolonien …
    Nur seine braunen Augen hatten sich nicht verändert. Kitty fühlte einen

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