Die Kurtisane des Teufels
zu warten, und betrat zögernd mit dem Talglicht in der Hand die düstere Abteilung. Es waren nur wenige Frauen anwesend, die meisten befanden sich wohl im Saal oder in der Schenke im Keller des Torhauses. Langsam ging Kitty an den zumeist schlafenden Gefangenen vorbei. Die eine oder andere musterte sie feindselig oder wandte sich schicksalsergeben ab, als der Schein der Kerze ihr Gesicht traf. Endlich wurde das Mädchen fündig. Den Kopf auf den angewinkelten Arm gebettet, lag Susannah mit dem Rücken zur Wand auf dem Boden. Ein starker Biergeruch ging von ihr aus. Energisch ergriff Kitty ihre Schulter und schüttelte sie, bis sie verschlafen die Augen aufschlug und den Störenfried missmutig anblinzelte.
»Was willst du? Lass mich in Frieden«, murmelte sie abweisend.
Als sie Kitty jedoch auf den zweiten Blick erkannte, richtete sie sich schwerfällig auf und kam schwankend auf die Beine.
»Du! Wie hast du mich gefunden?«
»Deine Hauswirtin sagte mir, wo du bist«, antwortete Kitty.
»Die verdammte Schlampe!«, fluchte Susannah. »Warum musste sie den Bütteln auf die Nase binden, dass ich zu Hause war. Miststück!«
Unter Susannahs verrutschter Haube quollen unordentliche Strähnen braunen Haares hervor, die sie sich mit einer unbewussten Geste aus der Stirn strich.
Wenn sie ein wenig mehr auf ihr Äußeres achten würde, wäre sie eine hübsche Frau, dachte Kitty in einem Anflug von Eifersucht.
»Was willst du hier, Mädchen?«, fragte Susannah gereizt. »Reicht es dir nicht, dass du mir den Mann weggenommen hast? Musst du dich nun an meinem Unglück weiden?«
»Weißt du, wo Daniel ist?«, erkundigte sich Kitty, ohne auf die Bemerkung der anderen einzugehen. »Seit vier Tagen ist er spurlos verschwunden.«
»Hat er dich also am Ende auch sitzenlassen!«, entfuhr es Susannah mit einem gemeinen Lachen.
»Das ist nicht wahr!«, widersprach Kitty. »Hätte er mich zur Frau genommen, wenn er vorgehabt hätte, mich zu verlassen? Er wollte für mich und mein Kind sorgen, da bin ich sicher. Es muss ihm etwas zugestoßen sein.«
Fassungslos starrte Susannah sie an. »Ihr seid verheiratet?«, hauchte sie. »Mein Gott, wie konnte er nur …« Sie biss sich auf die Lippen, als versuche sie, plötzlich aufsteigende Tränen hinunterzuschlucken.
Kitty überkamen Zweifel, ob es klug gewesen war, herzukommen. Dennoch machte sie einen letzten Versuch.
»Kennst du den Namen von Daniels Freund, mit dem er Geschäfte macht?«, fragte sie, um Freundlichkeit bemüht. »Er wollte zu ihm, bevor er verschwand.«
Susannah blickte ihr Gegenüber verständnislos an. »Geschäfte? Was für Geschäfte?« Dann begriff sie, und in ihren Augen glomm der Ausdruck eines seltsamen Triumphes auf. Sie brach in sarkastisches Gelächter aus. »Du weißt es tatsächlich nicht. Blauäugige Göre!«, rief sie, noch immer wie eine Verrückte kichernd. »Er hat dich nach Strich und Faden belogen, dein verehrter Gatte. Von wegen Geschäfte! Ein verdammter Beutelschneider ist er, der andere um ihr sauer verdientes Geld erleichtert.«
Ungläubig schüttelte Kitty den Kopf. »Das kann nicht sein. Du lügst!«
»Es ist die Wahrheit. Da du es mit ihm getrieben hast, ist dir sicher die Narbe an seiner Schulter aufgefallen«, zischte Susannah. »Sie stammt von einem Offizier, dem Daniel bei einer Hinrichtung in Tyburn die Geldkatze gestohlen hatte. Leider hat’s der Alte gemerkt und ist ihm mit dem Degen zu Leibe gerückt. Um ein Haar wär’s um den guten Daniel geschehen gewesen. Weißt du, wem er es verdankt, dass er dafür nicht gleich am Galgen geendet ist? Dem ›aufrichtigen‹ Jonathan!« Erneut wurde sie von spöttischem Lachen geschüttelt.
Kitty hatte das Gefühl, eine Wahnsinnige vor sich zu haben. Die anderen Gefangenen waren von ihnen abgerückt, als befürchteten sie, dass es über kurz oder lang zwischen den beiden Frauen zu Handgreiflichkeiten kommen würde.
»Ihr meint Jonathan Wild?«, fragte Kitty verwirrt.
»Natürlich!«, erwiderte Susannah, die allmählich wieder zu Atem kam. Mit gesenkter Stimme, damit die anderen sie nicht hörten, fuhr sie fort: »Wie alle Gauner in unserer schönen Stadt arbeitet auch Daniel für Wild. Er tut es nicht gern, aber was bleibt ihm anderes übrig? Wer sich gegen den Diebesfänger stellt und auf eigene Faust Raubzüge unternimmt, wird irgendwann auf Wilds Betreiben von seinen Kameraden verraten und muss baumeln. Das hat er dir wohl verschwiegen.«
Kitty antwortete nicht. Sie wollte nicht
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