Die Kurtisane des Teufels
zu teuer. Hier gibt es ja nicht einmal einen Kamin.«
Theatralisch rang Mistress Symons die Hände. »Was erwartet Ihr, Kindchen? Das ist London. Ein billigeres Logis findet Ihr nur noch in den Absteigen von Whitefriars, um den Clare Market und in der St. Clement’s Lane. Aber da müsst Ihr Euch eine Kammer mit zwanzig Fremden teilen und das Bett mit fünf oder zehn verlausten Bettlern.«
Entsetzt sah Kitty sie an. Zufrieden mit dem Eindruck, den sie bei der jungen Frau hinterlassen hatte, fuhr Mistress Symons aufmunternd fort: »Wenn Euch Gesellschaft nichts ausmacht, könnte ich Euch eine halbe Kammer im Dachgeschoss für neun Pence anbieten. Das Mädchen, das sie bewohnt, sucht jemanden, der sich an der Miete beteiligt.«
Eine zugige Mansarde war besser als ein feuchter Keller, dachte sich Kitty. Vielleicht würde die Aussicht sie an die Logis in Clerkenwell erinnern.
Als Kitty die Miete für eine Woche bezahlt hatte, trat Mistress Symons an die Stiege, die in die oberen Stockwerke führte, und rief: »Ann, du bekommst eine Mitbewohnerin. Hilf ihr nach oben!«
Kurz darauf erschien ein mageres Mädchen mit knochigem Gesicht auf der Treppe und lächelte Kitty freundlich an.
»Warte, lass mich dir helfen«, sagte Ann bereitwillig, als sie den Zustand der jungen Frau bemerkte. Gemeinsam trugen sie die Reisetruhe mit einiger Mühe die fünf Treppenläufe hinauf bis unters Dach. Die Bodenkammer war geräumig und nur karg eingerichtet. Es gab ein Bett, das aus einer Matratze auf einem fahrbaren Gestell bestand, und einen klapprigen Hocker mit einer verbeulten Waschschüssel aus Zinn. Auf dem Boden befand sich die dazugehörige Kanne. Neben dem Bett entdeckte Kitty einen Eimer, der offenbar als Nachtgeschirr diente, und in einer Ecke hing Wäsche auf einer Leine. Die Kammer besaß weder einen Kamin noch ein Fenster. Durch ein Oberlicht fielen die schwachen Strahlen der Wintersonne auf den nackten Holzboden. An manchen Stellen rieselte der Putz von den Wänden.
Als Ann den zweifelnden Blick des Neuankömmlings bemerkte, sagte sie: »Es ist kein Palast, aber wenn der Wind nicht allzu stark durch die Ritzen pfeift, ist es ganz gemütlich.«
»Ich beklage mich nicht«, erwiderte Kitty seufzend. »Schließlich hat meine eigene Dummheit mich hergeführt.«
Wie anders hätte ihr Schicksal sein können, wäre ihr Bruder Thomas noch am Leben. Er hätte ihr geholfen, eine Anstellung in einem respektablen Haushalt zu finden, und dort würde sie nun ein arbeitsreiches, aber anständiges Leben führen. Doch Thomas war tot, gehängt für ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte, und sie war in ihrer Verzweiflung einem Betrüger auf den Leim gegangen, der sie geschwängert und dann im Stich gelassen hatte. In Kittys Herz stieg das bittere Gift des Hasses auf und richtete sich ganz gegen denjenigen, der ihr Unglück verschuldet hatte: den Diebesfänger Jonathan Wild. Er hatte ihr den Bruder genommen und sie so in die Arme seines Handlangers Daniel Gascoyne getrieben.
Ein wenig hilflos betrachtete Ann die Schwangere und versuchte, ihre Gedanken von dem düsteren Gesicht abzulesen.
»Willst du mir nicht erzählen, wie du in diese Lage gekommen bist?«, fragte das knochige Mädchen unverblümt. »Ich mache uns Tee. Du magst doch Tee?«
Überrascht sah Kitty ihre künftige Mitbewohnerin an. »Ist Tee nicht unerschwinglich teuer?«
»Frischer Tee, ja. Da kostet das Pfund gut und gerne ein Pfund Sterling«, gab Ann zu. »Aber ich habe nun einmal eine Schwäche für das Zeug. Es gibt nichts Kräftigenderes und Aufbauenderes nach einem langen Arbeitstag, oder wenn der Hunger wieder einmal in den Gedärmen wühlt, als ein starker Tee. Ich kaufe regelmäßig gebrauchte Blätter vom Butler des Hauses, in dem ich hin und wieder bei der Wäsche aushelfe.«
Während sie sprach, holte sie eine bauchige kleine Kanne von einem Bord und schloss dann mit einem Schlüssel, den sie an einer Kette um den Hals trug, eine aus rohem Kiefernholz gezimmerte und mit geblümtem Papier beklebte Kiste auf. Darin befanden sich ihre bescheidenen Habseligkeiten, unter anderem auch die gebrauchten Teeblätter, deren einziger Schutz gegen Diebstahl aus einem einfachen Schloss bestand. Nur die Armen, die nichts besaßen außer den Kleidern, die sie auf dem Leibe trugen, hatten nicht einmal eine schlichte Kiste wie diese.
»Du solltest dir für die Zukunft auch eine abschließbare Holzkiste anschaffen«, riet Ann. »Sie ist leichter zu tragen, aber
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