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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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hatte, ihn auszufragen. Was sollte sie nur tun?
    Vermutlich wohnte dieser Freund in Covent Garden, doch trotz der Sorge um ihren Gatten wagte es Kitty nicht, dorthin zu gehen. Die Angst, einem von Jonathan Wilds Gefolgsleuten über den Weg zu laufen, war zu groß. Vor ein paar Monaten hatte sich Daniel diskret erkundigt, ob der Diebesfänger noch nach Thomas Marshalls Schwester suchen ließ. Er fand heraus, dass Wild nach ihrem Verschwinden seine Leute wie erwartet auf Kittys Spur geschickt hatte. Als diese jedoch keinen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort finden konnten, hatte er die Sache auf sich beruhen lassen.
    »Wild wollte dich in erster Linie daran hindern, unbequeme Fragen über seine Geschäfte zu stellen«, hatte Daniel erklärt. »Da ihm dies gelungen ist, hat er keinen Grund mehr, nach dir zu forschen. Dennoch ist es besser, wenn du dich von ihm fernhältst.«
    In Covent Garden war das Risiko groß, dass Kitty erkannt wurde und dass Nachricht von ihrer Rückkehr Jonathan Wild zu Ohren kam. Vielleicht war Daniel nur aufgehalten worden, dachte Kitty, um sich zu beruhigen. Wenn sie sich nach Covent Garden begab und nach ihm fragte, würde er ihr bei seiner Rückkehr sicher Vorwürfe machen, weil sie sich dadurch in Gefahr gebracht hatte.
    Doch sie konnte nicht einfach nur dasitzen und warten. Entschlossen warf sie sich ihren warmen Wollumhang über und wanderte ziellos durch die tief verschneiten Straßen von Clerkenwell. Hin und wieder klopfte sie an die Tür eines der hugenottischen Handwerker, mit denen sie in den vergangenen Monaten öfter ein Wort gewechselt hatte, und fragte sie, ob sie ihren Gatten gesehen hätten. Sie sprach in den Läden vor, in denen sie regelmäßig Lebensmittel, Kerzen oder Kohle eingekauft hatten, doch auch dort konnte man ihr nicht weiterhelfen. Daniel blieb verschwunden.
    Am Rande der Verzweiflung kehrte Kitty heim, setzte sich vor den Kamin, ohne die Kraft aufzubringen, die Glut zu schüren, und brach in Tränen aus. Schließlich wurde sie sich der Ausweglosigkeit ihrer Lage bewusst. Was sollte aus ihr werden, wenn Daniel nicht zurückkehrte? Sie erwartete ein Kind, und sie war mittellos, ohne Familie, ohne Freunde. Ein eisiger Schauer überlief sie. Sie musste Daniel finden! Koste es, was es wolle!
    Die ganze Nacht zerbrach sie sich den Kopf, was sie tun sollte, um herauszufinden, was mit Daniel geschehen war. Wer könnte etwas über seinen Geschäftsfreund wissen? Die einzige Person, die Kitty einfiel, war Susannah. Sie hatte eine Zeitlang mit Daniel das Lager geteilt und mochte auch seine Freunde kennen. Ob die eifersüchtige ehemalige Geliebte ihrer Rivalin helfen würde, stand allerdings auf einem anderen Blatt. Aber hatte Kitty noch eine Wahl? Wenn Daniel etwas zugestoßen war, hatte Susannah vielleicht davon gehört.
    Als sie den Entschluss gefasst hatte, gab es für Kitty kein Zögern mehr. Von neuer Energie erfüllt, zog sie sich an. Inzwischen ließ sich ihr Mieder über der Fülle ihres Leibes nicht mehr schließen, ebenso wenig wie das Kleid aus Wolle, das sie darüber trug. In ihren Umhang gehüllt, die Kapuze tief in die Stirn gezogen, machte sich die junge Frau auf den beschwerlichen Weg zur Drury Lane. Sie hatte überlegt, eine Mietkutsche zu nehmen, hielt es aber für geraten, das wenige Geld, das sie noch besaß, so weit wie möglich zusammenzuhalten. Was sie tun sollte, wenn es aufgebraucht war, wusste sie nicht.
    Der Schneefall der letzten Woche hatte nachgelassen, doch der Himmel blieb bewölkt, und die Tage waren grau und düster. Die weißen Flocken hatten sich auf den Straßen rasch in vom Kohlenstaub schwarz gefärbten Matsch verwandelt, der an Kittys Rocksaum klebte und das Vorwärtskommen noch beschwerlicher machte. Die Passanten hatten sich gegen die Kälte bis unter die Nase in Schals und Tücher gewickelt und eilten, ohne anzuhalten, dahin, bemüht, so schnell wie möglich wieder ins Warme zu gelangen. Ein paar Mal blieb Kitty stehen, weil sie glaubte, unter einem tief in die Stirn gezogenen Hut Daniels Gesicht zu erkennen. Doch es war nur eine Täuschung, die ihr die Hoffnung vorgaukelte. Die Fenster der vorbeifahrenden Kutschen waren geschlossen, die Insassen so unsichtbar wie die Zecher in den Schenken und die Kaufleute und Gentlemen in den Kaffeestuben, deren Stimmen körperlos durch die beschlagenen Scheiben drangen. Erst wenn die Dämmerung hereinbrach und die Kerzen und Talglichter im Innern entzündet wurden, gaben sie das geschäftige

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