Die Kurtisane des Teufels
Treiben preis, das in den Schankräumen herrschte und aus dem sich Kitty so schmerzlich ausgeschlossen fühlte.
Als sie das Haus in der Drury Lane erreichte, in dem Susannah wohnte, waren ihre Hände und Füße zu Eis erstarrt, und sie fühlte sich von dem langen Marsch körperlich erschöpft. Allen Mut zusammennehmend, klopfte sie an. Sie musste lange warten, bis sich endlich etwas rührte. Schlurfende Schritte waren zu hören, dann wurde die Tür geöffnet, und eine beleibte Frau mit pockennarbigem Gesicht und leicht schielendem Blick musterte Kitty mit wenig einladender Miene.
»Was willst du, Mädchen?«, fragte sie.
»Ich möchte zu Susannah«, bat Kitty. »Sie hat eine Kammer im ersten Stock.«
»Susannah wohnt nicht mehr hier«, erwiderte die Frau. »Gestern Morgen haben die Büttel sie abgeholt. Musste ja eines Tages so kommen. Die diebische Elster hat alles mitgehen lassen, was nicht niet- und nagelfest war. Hat sogar vor meinen Betttüchern nicht haltgemacht.«
Als die Frau, die offenbar die Hauswirtin war, Kittys entsetztes Gesicht sah, fügte sie in freundlicherem Ton hinzu: »Du wusstest wohl nicht, dass Susannah ein Langfinger ist, was? Mit so einer solltest du dich in deinem Zustand nicht abgeben«, meinte sie warnend, nachdem sie sich mit einem kurzen Blick auf Kittys Ehering davon überzeugt hatte, dass diese kein gefallenes Mädchen war.
»Aber ich muss Susannah unbedingt sprechen«, beharrte die Schwangere. »Wisst Ihr, wohin man sie gebracht hat?«
»Nun, wenn es tatsächlich so wichtig ist, will ich dir nicht im Weg stehen, Mädchen«, erwiderte die Hauswirtin, doch ihre Miene verriet, dass sie Kittys Absicht missbilligte. »Die Büttel haben sie ins Newgate-Gefängnis gebracht. Hatten mächtig zu tun mit der Schlampe. Sie hat sich gewehrt wie der Teufel und die ganze Straße zusammengeschrien. Genützt hat es ihr nichts. Wie es heißt, soll sie einen seidenen Rock mit goldener Spitze und ein Mieder gestohlen haben. Na, diesmal wartet bestimmt der Henkersstrick auf sie!«
»Könnt Ihr mir Susannahs vollen Namen sagen?«, bat Kitty schließlich noch.
»Harker, Susannah Harker.«
Die junge Frau bedankte sich. Während sie die matschige Straße entlangging, fragte sie sich, ob Daniel gewusst hatte, dass Susannah eine Diebin war. Und wenn ja, weshalb hatte er sich dann mit ihr eingelassen?
Von ihrem Besuch bei Jonathan Wild auf der Little Old Bailey kannte sie den Weg zum Newgate, denn sie hatte das gewaltige zinnenbewehrte Torhaus am Ende der Hart-Row Street von ferne gesehen. Als sie nach langem Fußmarsch den Snow Hill erreichte, zögerte sie jedoch, weiterzugehen. Wenn sie dem Diebesfänger nun über den Weg lief? Ängstlich sah sie sich um, als erwartete sie, dass er jeden Moment aus einer Seitengasse auf sie zutrat. Mit zitternder Hand zog sie die Kapuze noch tiefer ins Gesicht und biss die Zähne zusammen. Nachdem sie nun schon so weit gekommen war, konnte sie unmöglich unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen. Susannah war die Einzige, die vielleicht wusste, wohin Daniel gegangen war.
Trotz ihrer Erschöpfung brachte Kitty den Rest der Strecke rasch hinter sich. Als sie zu dem mächtigen Torhaus mit seinen zwei Türmen aufblickte, überlief sie ein Schauer. Trotz der Fenstergesimse und der Figuren, die aus ihren Nischen auf die Passanten und Fuhrwerke der Newgate Street herabsahen, erschienen die jahrhundertealten dicken Mauern glatt und abweisend. Die großen Fenster waren mit massiven Gittern versehen. Als Kitty näher trat, stieg ihr ein abstoßender Geruch in die Nase, der aus dem Gefängnis sickerte wie Jauche aus einer Kloake. Im Sommer musste der Gestank für die Anwohner unerträglich sein. Unschlüssig blieb Kitty unter dem Gewölbe des Torbogens stehen. Würde man ihr erlauben, Susannah zu besuchen? Und würde diese ihre Rivalin überhaupt sehen wollen?
Erschrocken fuhr Kitty zusammen, als sich schmutzstarrende Finger flehend durch ein Gitter über ihrem Kopf streckten und eine verzweifelte Stimme erklang: »Almosen … Almosen für die armen Gefangenen. Ich bitte Euch, Madam, habt Erbarmen. Gebt mir ein Almosen. Sonst muss ich hungers sterben.«
Kitty konnte das Gesicht des Häftlings nicht sehen, doch die hoffnungslose Stimme und die dreckgeschwärzten mageren Finger sprachen für sich. Obgleich sie es sich nicht leisten konnte, großzügig zu sein, legte sie einen Penny in die Hand, die daraufhin versuchte, die ihre aus Dankbarkeit zu drücken.
»Gott segne
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