Die Kurtisane des Teufels
Uhrmacherfrau sie bereits in der ersten Stunde ihres Aufenthalts in London davor bewahren musste, sich in die Nesseln zu setzen, sah das Mädchen ein, dass sie den göttlichen Beistand bitter nötig hatte. Während sie dem davonfahrenden Fuhrwerk nachsah, fühlte sie sich verlassener denn je.
3
Das Haus, an dessen Fassade sich das Schild mit dem aufgemalten Vogelkäfig quietschend an einem gusseisernen Arm im Wind bewegte, bestand aus einem Gerüst silbergrau gebleichter Eichenbalken und mit Lehm beworfenem Flechtwerk. Es musste an die zweihundert Jahre alt sein und stand ein wenig windschief zwischen seinen ebenso altersschwachen Nachbarn. Die oberen Stockwerke kragten über die Straße hervor, so dass die Räume im ersten und zweiten Stock mehr Platz boten als die unteren. Als sie von der Giltspur Street in die Cock Lane eingebogen waren, war Kitty der abrupte Übergang von den neu erbauten Ziegelhäusern zu dem alten Fachwerk aufgefallen. Mistress Webster hatte ihr erklärt, dass der verheerende Brand des Unglücksjahres 1666, das den gesamten Stadtkern von London zerstört hatte, bis zu genau dieser Stelle vorgedrungen war, bevor man das Feuer hatte eindämmen können. Die alten Häuser stammten noch aus der Zeit der Königin Elizabeth und würden vielleicht noch weitere hundert Jahre überdauern.
Auf Kittys Klopfen hin öffnete ihr eine alte Frau, deren knochiges schmales Gesicht von einer mit Rüschen besetzten Haube umrahmt wurde. Freundliche graue Augen sahen sie fragend an.
»Mein Name ist Catherine Marshall«, stellte Kitty sich vor. »Ich möchte meinen Bruder Thomas besuchen.«
Über das faltige Gesicht der Frau wanderte ein Ausdruck des Erstaunens, der kurz darauf deutlichem Bedauern Platz machte.
»Es tut mir leid, mein Kind. Aber Mr. Marshall wohnt nicht mehr hier.«
Die Erklärung überraschte Kitty so sehr, dass sie kein Wort herausbrachte. Ein Gefühl der Hilflosigkeit überkam sie. Die alte Frau, die von ihrem Gesicht ablas, was in ihr vorging, trat von der geöffneten Tür zurück und breitete einladend den Arm aus.
»Kommt doch erst einmal herein, Mistress Marshall. Seid Ihr gerade erst in London angekommen?«
Kitty schluckte schwer und nickte. Während sie der Alten in die Küche folgte, überschlugen sich ihre Gedanken. Wie sollte sie Thomas in dieser riesigen Stadt finden? Und was sollte aus ihr werden, wenn es ihr nicht gelang, ihn aufzuspüren?
In der kleinen Küche, die nach hinten auf einen winzigen Hof hinausging, saß ein Mann vor der Feuerstelle und wärmte sich die Hände, obwohl es ein warmer Frühlingstag war. Überall standen Töpfe und Kessel. Von der Decke hingen getrocknete Kräuter, in einem Korb stapelten sich Lauch, Zwiebeln und Kohl. Offenbar kochte die Hauswirtin regelmäßig für ihre Mieter.
»Ich bin Mistress Speering«, stellte sich die Frau mit dem knochigen Gesicht vor. »Mir gehört das Haus.«
Der hagere Mann am Feuer nickte den beiden Frauen kurz zu, bevor er wieder andächtig in den Anblick der Flammen versank.
»Mr. Pinfold, einer meiner Mieter«, erklärte Mistress Speering. »Er ist recht wortkarg, aber das macht ihn zu einem angenehm ruhigen Hausgast.«
Noch immer verwirrt, ließ sich Kitty auf den angebotenen Stuhl sinken.
»Mein Bruder hat in seinen Briefen nicht erwähnt, dass er umziehen wollte«, sagte sie. »Wann hat er Euer Haus verlassen, Madam?«
»Das war so vor zwei Monaten«, erwiderte Mistress Speering nach kurzer Überlegung.
Von diesem Zeitpunkt an waren auch seine Briefe ausgeblieben, dachte das Mädchen bedrückt.
»Unsere Eltern sind gestorben«, platzte sie heraus. »Daher ist es ungemein wichtig, dass ich ihn finde. Wisst Ihr, wohin er gegangen ist, als er Euer Haus verließ?«
»Er sagte, er habe eine preiswertere Bleibe in Covent Garden gefunden«, antwortete Mistress Speering. »Aber er machte leider keine näheren Angaben.«
Kitty senkte den Blick, um die aufsteigenden Tränen zu verbergen, die sich in ihren Augen sammelten.
»Ist dieses Covent Garden groß?«, fragte sie unsicher. »Würde es schwierig sein, dort jemanden zu finden?«
»Nun, um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht«, gestand Mistress Speering. »Ich war noch niemals dort. Es ist ein Platz, der vor fast hundert Jahren nach ausländischer Manier angelegt wurde, mit Schenken, Buden und Theatern. Die Gegend genießt keinen guten Ruf. Es ist ein Vergnügungsviertel, kein Ort, an den sich eine anständige Frau verirren würde.«
Allmählich überkam
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