Die Lady auf den Klippen
einen Moment, bis Blanche begriff, so wütend war sie. „Wie bitte?“
„Einhundert Pfund für jeden von uns – und wir werden Ihr schmutziges kleines Geheimnis mit ins Grab nehmen.“ Er grinste.
„Sie wagen es, mich zu erpressen?“, rief sie.
„Jawohl.“
Blanche zitterte heftig. Sie trat ein paar Schritte zurück und fuhr dann herum. „Erzählen Sie es nur allen. Mir ist es egal. Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt, achtundzwanzig nächsten Monat. Niemand wird mir wegen meiner Affären einen Vorwurf machen!“
„Vielleicht Ihr neuer Verlobter.“ Seine Augen wirkten nun gefährlich dunkel.
„Hinaus!“, stieß Blanche hervor.
„Das wird Ihnen noch leidtun!“, fuhr er sie an.
Blanche sah zu, wie er zur Tür ging. In ihrem Kopf spürte sie das Messer. Sie presste die Hände an die Schläfen, rang um Beherrschung, während die Erinnerungen zurückkehrten. Sir Rex, wütend, wie er ihr befahl zu gehen. Das Monster, das Mama aus der Kutsche zerrte, das tote, blutende Pferd.
Anne weiß Bescheid.
Anne hatte sie bei einem Anfall gesehen.
„Warten Sie!“
Carter wandte sich um.
Es machte ihr etwas aus, wenn ihre Affären in der Öffentlichkeit bekannt wurden, nur nicht genug, um Carters Preis zu bezahlen. Aber was, wenn er ihr schlimmstes Geheimnis verriet – dass sie langsam den Verstand verlor? Er würde zu Anne nach Hause gehen und ihr sagen, dass Blanche sich geweigert hatte zu zahlen. Das Hausmädchen würde voller Hass sein und auf Rache sinnen. Anne würde alles tun, um Blanche zu verletzen. Davon war sie überzeugt. Es würde Anne nicht mehr als zwei Minuten kosten, die Wahrheit zu verbreiten.
„Na schön. Kommen Sie morgen wieder, dann werde ich das Geld in Münzen bereithalten.“
Er grinste.
Sie hatte drei Tassen Beruhigungstee getrunken und war umgeben von ihren Verehrern – oder vielmehr den Kerlen, die hinter ihrem Vermögen her waren. Davor hatte Blanche außerdem eine halbe Stunde reglos in ihrem Bett gelegen und nicht an die Erpressung gedacht, sondern an einen ruhigen See, auf dem sie trieb. Jetzt schwebte sie. Sie war vollkommen ruhig. Sie würde diesen Nachmittag ohne ein Missgeschick überstehen.
„Der Aufenthalt in Cornwall hat Ihnen gutgetan, Lady Harrington“, sagte ein sehr gut aussehender, braunhaariger junger Gentleman mit blauen Augen. Blanche versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern. Er war der dritte Sohn eines Earls und mittellos – und stand in dem Ruf, ein Schürzenjäger zu sein. Laut Bess hätte er aber sonst keine Fehler. Er spielte nicht und verschleuderte kein Geld, das er nicht besaß. „Sie haben nie reizender ausgesehen.“ Er lächelte, und ein Grübchen zeigte sich.
Blanche lächelte zurück, und dann fiel ihr auch sein Name ein. James Montrose. Sie betrachtete ihn genauer. Er sah gut aus, war wohl gebaut, groß, muskulös, und jetzt konnte sie sich auch vorstellen, wie sein Körper unter der Kleidung aussah. Keine Spur von Fett. Vermutlich verbrachte er viel Zeit auf dem Pferd. Trotzdem blieb sie ungerührt.
Kein bisschen Verlangen erwachte in ihr. „Ich habe meinen Aufenthalt genossen“, sagte sie leichthin. „So weit im Süden war ich noch nie. Es ist reizend dort.“
„Waren Sie schon im Norden? Ganz oben im Norden?“ Er lächelte. „Mein Vater hat ein Jagdhaus im Hochland. Ich würde es Ihnen gern zeigen.“
„Ich war nie nördlicher als Stirling“, sagte sie, als sie bemerkte, wie die Countess of Adare hereinkam. Blanche runzelte die Stirn. Lizzie war bei ihr, und auch ihre Stieftochter Eleanor O’Neill.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte Montrose und drehte sich um, um ihrem Blick zu folgen.
Ob die beiden Frauen annahmen, dass sie verlobt war? Eine Woche lang hatte Bess jedem erzählt, dass es keine Verlobung gegeben hatte. Und die Freundin hatte ihr geraten, dasselbe zu behaupten, andernfalls würde es Fragen geben, die sie vielleicht aufregten. Jetzt stellte niemand Fragen – und sie war trotzdem beunruhigt.
In ihren Schläfen pochte es.
Bitte nicht jetzt, flehte sie.
„Lady Harrington? Möchten Sie sich setzen?“, fragte Montrose, und er klang besorgt und freundlich.
Sofort wusste Blanche, dass er nicht infrage kam. „Es geht mir gut. Lady Adare ist hier, und ich muss sie begrüßen.“ Sie lächelte ihn an, oder versuchte es jedenfalls, während sie seinen prüfenden Blick ignorierte. Dann holte
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