Die Lady auf den Klippen
das ließ nur einen Schluss zu: Blanche war krank. Aber das ging ihn nichts an. Sie war eine erwachsene Frau, zwar ohne Familie, aber mit Freundinnen, und jemand anders könnte sich um sie kümmern. Ihr neuer Verlobter zum Beispiel. Trotzdem setzte Rex sich an seinen Schreibtisch, fühlte sich verwirrt und wollte nicht darüber nachdenken, was er jetzt tun sollte. Rasch zog er ein Blatt Papier heraus, tauchte die Feder ein und schrieb an seine Schwägerin.
Liebe Lizzie,
wie schön, von Dir zu hören. Ich freue mich auf Harmon House und die Familie. Ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie die Kinder gewachsen sind, und es wird mir große Freude machen, auf Ned, Michael und Alexi aufzupassen. Die Jungen brauchen eine feste Hand! Doch ich glaube nicht, dass ich früher kommen werde, denn ich bin noch mit den Renovierungsarbeiten hier in Land’s End beschäftigt. Es tut mir leid zu hören, dass Blanche Harrington sich immer noch schlecht fühlt. Ich sehe in ihr weiterhin eine Freundin der Familie und daher sage ich Dir, dass ihr Gesundheitszustand schon delikat war, als sie hier in Cornwall war. Bitte ermutige sie, den besten Arzt in der Stadt aufzusuchen.
Er zögerte, denn ihm war bewusst, dass jeder in der Familie wissen wollte, was geschehen war. Es ging niemanden etwas an, aber das würde seine Brüder, Stiefbrüder oder seine Schwester Eleanor nicht abhalten, nachzufragen. Seufzend schrieb er:
Mir ist bewusst, welche Aufregung mein überstürzter Brief verursacht haben muss. Blanche und ich waren sehr lange Zeit befreundet. Ganz kurz meinten wir, ein passendes Paar zu sein, dann wurde uns aber sehr schnell klar, dass wir aus offensichtlichen Gründen ganz und gar nicht zusammenpassen. Ich entschuldige mich für die Verwirrung.
Bis zum Ende des Monats – mit besten Grüßen
Dein treuer Schwager Rex
Es gab keinen liebenswerteren Menschen als Lizzie. Sie hatte ein großes Herz, ein Herz aus Gold. Er war beinahe sicher, dass sie Blanche drängen würde, sich ärztlich behandeln zu lassen.
Er trocknete den Brief, und als er sicher war, dass die Tinte nicht verwischen würde, faltete er das Blatt zusammen und steckte es in einen Briefumschlag, den er mit Wachs und seinem Wappen versiegelte. Erst jetzt spürte er seine Angst.
Offensichtlich war Blanche krank. Aber was, wenn sie außerdem auch ein Kind erwartete?
Sie hatten einander eine ganze Nacht lang geliebt. Da sie verlobt waren und sich beide Kinder wünschten, hatte er keine Vorkehrungen getroffen. Tatsächlich hatte er sich in jener Nacht gewünscht, dass sie schwanger wird.
Er wollte nicht daran denken, wie es war, sie im Arm zu halten und sie zu lieben. Er wollte nicht daran danken, dass er der Erste gewesen war. In seinen Schläfen pochte es, und unsicher erhob er sich. Seit Stephens Geburt war er bei seinen Mätressen außerordentlich vorsichtig gewesen. Er konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als noch ein Kind zu zeugen, das er nicht anerkennen und aufziehen könnte.
Panik stieg in ihm auf. Sie wollte einen Ehemann wählen.
Allmählich ließ die Panik nach, und er fasste einen Entschluss. Er würde nie zulassen, dass ein anderer Mann sein Kind aufzog. Das war einfach undenkbar.
Blanche lächelte entschlossen, als Jem die Eingangstür öffnete und zwei Dutzend Bewerber hereinließ. Bess und Felicia standen bei ihr, um die Gäste zu begrüßen; beide Frauen zeigten dieselbe höfliche Maske wie Blanche. Sie war jetzt seit acht Wochen in der Stadt, und einmal in der Woche ließ sie Besuche zu. Blanche war sich bewusst, welches Gerede ihr Verhalten verursachte. Zu viele Gentlemen hatten ihren Anfall gesehen, und es gab Gerüchte, sie litte keineswegs an Migräne, sondern hätte den Verstand verloren. Aber es hatte keinen weiteren Zwischenfall gegeben, nicht in der Öffentlichkeit. Doch zu Hause hatte es viele gegeben.
Sie befand sich in einem prekären Zustand. Blanche wusste, dass sie langsam, aber stetig, ihre geistige Gesundheit verlor. Manchmal wachte sie nachts auf, weil sie von dem Aufstand geträumt hatte, und dann wurde die Nacht zur Hölle für sie, ihr Schlafzimmer wurde zu der Londoner Straße, die flackernden Schatten im Zimmer zu dem aufrührerischen Mob.
Manchmal genügte ein einziger Gedanke, um diesen entsetzlichen Kopfschmerz hervorzurufen, und sie wurde sofort in die Vergangenheit zurückgeworfen. Blanche wusste, dass viele ihrer Dienstboten sie
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