Die Lady auf den Klippen
das nicht, dass er vorgetreten wäre, hätte sie ein bescheideneres Vermögen besessen. Und sie wünschte nicht einmal, dass er ihr den Hof machte! Sie hatte sich gerade davon erholt, ihn in einer so privaten Situation ertappt zu haben. Gewiss bewunderte sie viele seiner Eigenschaften, doch er war viel zu männlich für eine Frau wie sie.
Blanche bemerkte, dass ihr der Atem stockte. Das war das Problem. Ein viel wichtigeres als die Tatsache, dass sie eine Dame der Gesellschaft war und er ein Landmensch. Sie war noch nie geküsst worden, und Sir Rex war offensichtlich ein Mann mit großem Appetit und weitreichender Erfahrung. Sie würden sich nie verstehen.
„Sie haben nichts gegessen“, meinte er.
Blanche nahm ihren Teller auf und bemerkte, dass ihre Hand zitterte. Sie achtete darauf, seinem Blick auszuweichen. „Danke. Ich glaube, ich werde Ihren Rat befolgen“, sagte sie. „Oder es zumindest versuchen.“
Sie würde niemals einschlafen können.
Blanche stand an ihrem Schlafzimmerfenster. Der Nachthimmel war mit Sternen gesprenkelt, der Ozean schimmerte schwarz und silbern. Wegen des späten Mittagessens hatte Sir Rex nur ein leichtes Abendessen in seinem Arbeitszimmer eingenommen, während er seine Papiere durchging, und sie hatte ein Tablett mit in ihr Zimmer genommen. Nun war es beinahe Mitternacht, und seit einer Stunde wälzte sie sich nun schon schlaflos hin und her und konnte an nichts anderes denken als an ihren Gastgeber.
Sie musste all ihre gegenwärtigen Bewerber fortschicken. Diesen Entschluss hatte sie gefasst, denn er hatte recht mit seinem Rat. Und was dann?
Sollte sie Sir Rex als möglichen Ehemann in Betracht ziehen, trotz allem?
Aber warum war er in seinem Alter noch immer ungebunden?
Sie lauschte auf das Rauschen des Meeres, doch das beruhigte sie nicht. Kein kaltes Meer könnte ihre Wangen kühlen. In den vergangenen anderthalb Tagen war so viel geschehen, dass sie sich fühlte, als wäre sie schon ein Jahr fort von zu Hause. Ihre Welt schien sich vollkommen verändert zu haben, als würde sie an einem Abgrund stehen und ein falscher Schritt sie ins Nichts stürzen lassen. Es war alles so beunruhigend.
Aber hatte sie nicht von dem Tag geträumt, an dem ihr Herz schneller schlagen würde, an dem sie etwas anderes empfand als Ruhe und Frieden?
Sie hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass dieser Tag jemals kommen und dann so viel Verwirrung mit sich bringen würde. Sir Rex war es irgendwie gelungen, ihre Welt auf den Kopf zu stellen, sie unsicher zu machen und zu beunruhigen. Aber war das nicht allemal besser als eine gleichsam vollkommen flache und ebene Welt, in der sie immer nur geradeaus gehen würde?
Bei getrennten Schlafzimmern wäre Sir Rex vielleicht der ideale Ehemann für sie. Er würde ihr Vermögen und ihren Grundbesitz ehrlich und geschickt verwalten. Sie schienen sich gut zu vertragen und begannen, sich anzufreunden. Und Blanche wusste, dass die wenigen guten Ehen, die es gab, auf tiefer Zuneigung basierten. Dennoch hatte sie einige Bedenken in Bezug auf ihn. Sein Trinken beunruhigte sie. Die Waffensammlung beunruhigte sie sogar noch mehr. Was immer im Krieg geschehen sein mochte, es verfolgte ihn und machte ihn unglücklich. Sie würde ihm diese Zurückgezogenheit abgewöhnen, er könnte in die Stadt fahren, wie es ihm beliebte. Tatsächlich war es seine Virilität, die sie am meisten beunruhigte.
Offenbar waren seine Bedürfnisse extrem. Sie hingegen hatte keine. Zweifellos benötigte er eine leidenschaftliche Partnerin, und Blanche wusste, dass sie keine solche Frau war. Viele Paare hatten getrennte Schlafzimmer. Doch wenn sie getrennte Schlafzimmer hatten, dann würde er eine Geliebte haben wollen, und natürlich würde sie dann wegsehen müssen und sich nichts daraus machen. Wäre es tatsächlich so? Und was war mit Kindern?
Blanche merkte, dass sie den Dingen weit vorausgriff. Sie betrachtete Sir Rex als Kandidaten, trotz der Bedenken, die sie ihm gegenüber hatte. Und sie wusste noch immer nicht, warum er nicht verheiratet war, und vor allem nicht, ob er sich überreden ließ, sich mit ihr zu verbinden, wenn sie sich entschied, ihn zu fragen.
Und wenn sie ihm einen Antrag machte und er annahm – was dann?
Anne hatte vor Lust in seinen Armen geweint. Das war schockierend gewesen. Der Ausdruck in seinen Augen war noch viel schockierender.
Blanche trat vom Fenster zurück. Vor noch nicht
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