Die Lady auf den Klippen
Gärten sind nicht gepflegt.“
„Das macht mir nichts aus.“
„Sind Sie sicher, dass es Ihnen nicht zu kalt wird? Sie waren schon den größten Teil des Tages draußen.“
Hätte sie ihn nicht am Vortag in flagranti erwischt, sie hätte ihn noch immer für einen Gentleman gehalten. „Ich genieße die frische Luft.“ Sie lächelte, ohne ihn anzusehen.
Wollte Bess sie beide zusammenbringen, weil sie wusste, dass er die Charakterstärke und Integrität besaß, die nötig waren, um ihr zu helfen, ihr Vermögen zu verwalten?
Sir Rex sah sie an, aber sie mied seinen Blick. Er wandte sich an Anne. „Bring Lady Harrington eine warme Decke.“
Er machte eine einladende Geste, und sie folgte ihm um das Schloss herum und am Turm vorbei. Dann blieb sie stehen. Er hatte recht. Von hier aus konnte man bis Amerika sehen – zumindest kam es einem so vor.
Denn der Garten endete dort, wo das Land in das Meer überging, und auch wenn sie wusste, dass dort Klippen waren, konnte sie die von ihrem Standpunkt aus nicht sehen. An diesem Tag war der Atlantische Ozean stahlgrau, doch er glänzte wie ein Diamant. Goldene und orangefarbene Lichter tanzten auf der Oberfläche. „Oh“, stieß sie hervor.
„Ein Fischschwarm ist vorbeigekommen. Sie lassen eine schimmernde Spur zurück“, erklärte er leise.
Er stand so nahe bei ihr, dass sie seinen Atem an ihrem Nacken spürte. Blanche trat zur Seite, brachte etwas Abstand zwischen sie, während ihr Herz wie rasend schlug. Er hatte sie nicht berührt, doch ihr war, als hätte er es getan.
Sie fühlte sich unsicher, vermochte kaum zu atmen und verstand ihre plötzlich so heftige Reaktion auf seine Nähe nicht – die sicher ein Fehler war.
„Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken“, sagte er und wandte sich ab. Seine Stimme klang belegt.
Blanche verdrängte den Gedanken an ihn zusammen mit Anne. Sie wollte nicht einmal darüber nachdenken, wie sie diesen Tonfall verstehen sollte. Stattdessen sah sie sich rasch im Garten um und entdeckte Rosenbüsche und Beete für Narzissen und Tulpen. Meg breitete eine karierte Decke aus, Anne öffnete den Korb. Rex lächelte Blanche beiläufig an und ging hinüber zu dem Hausmädchen. „Bring eine Flasche Wein und zwei Gläser“, sagte er.
„Hier muss es im Sommer sehr schön sein.“
„Wie ich schon sagte, Sie müssen wiederkommen.“ Er lächelte sie an.
Blanche glaubte, ihr Herz würde stehen bleiben. Sie begriff nicht, was mit ihr geschah, aber er hatte ein wunderschönes Lächeln, und es war schade, dass er es so selten zeigte. Wenn er mehr Zeit in London verbringen würde, wäre er nicht unverheiratet; irgendeine schöne junge Dame hätte ihn sich bestimmt schon geschnappt. Daran zweifelte sie nicht. Sein Vermögen war bescheiden. Aber er besaß andere Qualitäten, und nicht jede Debütantin fiel allein auf ein bisschen Charme herein. Tatsächlich war es seltsam, dass er noch nicht verheiratet war.
Hatte Bess wirklich daran gedacht, sie zusammenzubringen?
Sie betrachtete sein ausdrucksstarkes Profil, während er zusah, wie ihre Zofe das Essen auf die Decke stellte. Ganz kurz sah sie ein Bild vor sich von starken Muskeln und breiten Schultern, von der schimmernden Haut seines Rückens, seiner Brust. Ein wenig zaghaft noch breitete sich eine Spannung in ihr aus, begleitet von einem seltsamen Schmerz. Sie zwang sich, den stillen Garten anzusehen und versuchte sich vorzustellen, was sie wohl pflanzen würde, wäre Land’s End ihr Zuhause. Ich würde es mit Lilien versuchen, dachte sie.
Dann spürte sie seinen Blick. Sie sah auf und ertappte ihn dabei, wie er sie ansah. Der Blick war beinahe verführerisch und viel zu männlich. Einen Herzschlag lang sah er sie nur an, ohne zu lächeln. Als wäre er tief in Gedanken versunken.
Er mag Hausmädchen lieber als Damen. Er ist fleißig und entschlossen. Bess will uns zusammenbringen.
Schließlich errötete er und blickte zur Seite. Sie eilte zu der Decke und setzte sich so schnell hin, dass sie das Gleichgewicht verlor, doch sie fühlte sich ohnehin völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Fahrig zupfte sie an ihren Röcken und spürte, wie sie rot wurde. Jetzt erschien ihr ein Picknick als die denkbar schlechteste Idee. Doch wie sollte sie dem nun entkommen?
Und was bedeutete dieser Blick?
Vermutlich habe ich mir den Blick nur eingebildet, dachte sie atemlos. Und zum Teufel mit
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