Die Lady in Weiß
der Zisterne gesagt. Caro versuchte, ihre Erregung zu unterdrücken, als sie neben Hamil saß und nur mit halbem Ohr zuhörte, wie er ein weiteres Abenteuer schilderte, damit Jeremiah es aufschrieb. Heute Nacht würden sie mit Gottes Hilfe alle frei sein.
Sie wünschte, sie hätte eine Gelegenheit gefunden, Jeremiah alles zu erklären. Er schrieb ihr, so oft er konnte, kleine Botschaften in Hamils Manuskript, aber es war ihr nie gelungen, ihm zu antworten. Ihr erschien der Plan, den sie mit Bella und Leilah entwickelt hatte, absolut sicher. Sie hoffte nur, dass Jeremiah einverstanden war, wenn er davon erfuhr.
Sie blickte zu Hamil, der, wie an jedem Abend, den Dolch in der Hand hielt. Jedes Mal, wenn er ihn an ihre Kehle presste, sagte sie sich, dass er ihr nichts tun würde, aber es entsetzte sie immer wieder. Sie hasste ihn dafür. Heute, so schwor sie sich, sollte der letzte Abend sein, an dem er mit ihrer Angst spielte.
Jetzt beobachtete sie, wie er mit dem Dolch kleine Kunststückchen vollführte, die, wie sie fand, eher in einen Wanderzirkus gehörten als an Bord eines Piratenschiffes. Geschickt wirbelte er die Waffe über seinen Handrücken, doch diesmal verschätzte er sich zu ihrer Überraschung, und der Dolch fiel klirrend zu Boden.
Hamil fluchte leise und bückte sich, um das Messer aufzuheben. Dabei verlor er das Gleichgewicht und kippte nach vorn. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem grün und weiß gefliesten Boden, seine Augen waren geschlossen, und sein Bart lag wie ein Kissen unter seinem Kopf.
„Jeremiah! “ Im selben Moment erhob sie sich von den Kissen, lief in seine Arme und drückte ihn an sich. „Jeremiah, hör mir zu, wir fliehen von hier! “
„Du bist für das hier verantwortlich?“, fragte er ungläubig
und betrachtete Hamils reglosen Körper.
„Ich hatte Unterstützung. Hier, der Schlüssel für die Fußeisen.“
„Braves Mädchen!“ Er bückte sich und öffnete mit dem Schlüssel, den Bella ihnen verschafft hatte, die Eisen. Doch dann hob er zu Caros Entsetzen Hamils Dolch auf und richtete ihn auf den Rücken des bewusstlosen Mannes.
„Nein, Jeremiah, nein!“, rief sie und packte seinen Arm, um ihn aufzuhalten. „Das kannst du nicht tun! “
„Und warum nicht, zum Teufel?“ Seine Augen funkelten wild. Er war besessen von dem Wunsch nach Rache. „Caro, nach dem, was dieser Bastard uns allen angetan hat, verdient er es nicht besser! “
Mit beiden Händen versuchte sie, ihm das Messer zu entwinden. „Du darfst es nicht tun, ich habe es seinen Frauen versprochen! Sie lieben ihn, auch wenn wir in ihm nur ein Ungeheuer sehen, und deswegen haben sie uns geholfen. Jeremiah, hör mir zu! Wenn du ihn jetzt tötest, werden wir Tripolis nicht lebend verlassen! “
Er konnte nicht glauben, dass Caro ihm das antat, dass sie ihn wirklich daran hindern wollte, sie beide endgültig zu befreien. Er stieß sie beiseite, und sie rief seinen Namen. Im selben Augenblick bemerkte er die beiden jungen Frauen, die am Eingang standen. Sie hielten einander fest umklammert, und in ihren Augen las er dasselbe Entsetzen, das er eben noch in Caros Gesicht gesehen hatte. Hamils Ehefrauen. Verdammt, für sie würde er das Ungeheuer sein, das Hamil für Caro war. Wo sollte das alles nur enden?
„Sie lieben ihn, Jeremiah, so, wie ich dich liebe! “, rief Caro leidenschaftlich. „Du darfst ihn nicht töten. Wir können auch so fliehen, du und ich und David und Frederick. Sie warten auf uns beim Gefängnis.Verstehst du, Liebster? Wenn du Hamil töten würdest, jetzt, da er sich nicht wehren kann, wäre das nicht feige und ehrlos?“
Er sah sie unsicher an. Sie hatte recht. Es wäre feige und ehrlos, ihn jetzt zu töten, aber im Zusammenhang mit Hamil hatten solche Begriffe ihren Sinn verloren. Er starrte auf den Dolch in seiner Hand und packte den Griff fester. Wie wunderbar würde es sein, Hamil mit derselben Klinge zu töten, die er selbst zu spüren bekommen hatte!
Ein leiser Aufschrei, so wie von einem Tier, kam von der Tür her, und er sah sich nach den beiden Frauen um. Die dunkelhaarige hatte sich abgewandt, damit sie ihm nicht zusehen musste, und ihm fiel auf, dass sie ein Kind erwartete. War er wirklich der Mann, der einem ungeborenen Kind den Vater nahm? Er dachte an seine Schwester und ihr Baby, an Caro und das Kind, das er vielleicht gezeugt hatte. Wenn er Hamil jetzt tötete, dann hätte der Pirat am Ende doch noch den Sieg davongetragen, denn Jeremiah würde dann genauso
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