Die Lady in Weiß
jeder anderen Zeit hätte sie vermutlich Angst vor ihm gehabt, doch ihr eigener Groll machte sie jetzt stark, und sie reckte selbstbewusst das Kinn.
„Ich dachte, der Lieutenant hätte Mitleid mit einem verheirateten Paar und würde Sie gehen lassen. Ich habe das früher mal in einem Theaterstück gesehen, aber da war der
Held ein schottischer Gutsherr und ... “
„Ein Theaterstück?“ Er sah sie fassungslos an und konnte kaum glauben, was sie da sagte. „All das Gerede vom geliebten Ehemann 1 war aus einem verfluchten Theaterstück?“ „Es hat doch funktioniert, oder nicht?“, fragte sie eigensinnig.
„Hören Sie mir gut zu! Die hätten mich eine oder höchstens zwei Stunden festgehalten und dann wieder freigelassen! “ „Sie sind zu vertrauensselig. Wir sind hier in England, nicht in Amerika.“
„Aber, meine teuerste Lady Byfield, wie könnte ich das vergessen! Ich brauche Sie nicht, um daran erinnert zu werden. Ich brauche Sie überhaupt nicht! “
„Machen Sie mich doch nicht für alles verantwortlich!“ Sie fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, und wusste nicht, warum. „Sie sind ungerecht. Sie sind doch in Georges Haus eingebrochen, um mich zu befreien. Ich wollte mich nur dafür erkenntlich zeigen und Ihnen helfen. Und jetzt sind Sie ja frei.“
„Ich werde niemals frei sein, Sie verdammtes, starrsinniges Frauenzimmer!“ Gequält von einem Schmerz, den sie nicht verstehen konnte, schlug er die Faust gegen den Pfosten an ihrer Seite. „Sie sagen, ich sei ungerecht. Aber Sie haben mein Privatleben vor der Öffentlichkeit ausgebreitet. Wie steht es denn mit Ihnen? Was wäre, wenn ich Sie zu den anderen in die Schenke zurückbrächte und denen all Ihre Schandtaten, all Ihre Sünden erzählte? Wäre das gerecht?“ „Das würden Sie nicht wagen.“ Sie schüttelte heftig den Kopf. „Das können Sie nicht tun!“
Er riss ihr das Fichu weg. Sie hielt erschrocken den Atem an, verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, mit gespreizten Fingern ihre Blöße zu bedecken. Er aber ergriff ihre Handgelenke, drückte sie hoch über ihrem Kopf gegen die Stallwand und presste ihren Rücken dadurch erbarmungslos gegen die rohen Bretter. Sie war gefangen zwischen der harten Stallwand hinter ihr und Jeremiah Sparhawk vor ihr.
Ihr weicher, anschmiegsamer Körper schien mit dem athletischen und muskulösen Körper Jeremiahs zu verschmelzen, gleichsam erregt und betäubt durch die Hitze seines Zorns.
So war es gewesen, als er sie das erste Mal in seinen Armen gehalten hatte, und sie zitterte erwartungsvoll, während sie gleichzeitig versuchte, ihre Erregung zu unterdrücken. Vor langer, langer Zeit hatte ihre Mutter sie vor solchen Gefühlen zwischen Mann und Frau und vor ihren verhängnisvollen Folgen gewarnt. Kein Wunder, dass Captain Sparhawk sie mit der bloßen Erwähnung ihrer Sünden und Schandtaten empfindlich treffen konnte, wenn ihr Körper ihre Gedanken tatsächlich so eindeutig verriet!
Als er den Kopf zu ihr neigte, wusste sie, dass er sie küssen wollte, sie erkannte jetzt - viel zu spät -, dass es ein Fehler gewesen war, ihm zu vertrauen. Ihr Vertrauen hatte sie verletzlich werden lassen. Sie drückte die Augen fest zu, die letzte Art von Verteidigung, die ihr noch blieb.
„Ich dachte, Sie wären anders“, flüsterte sie haltlos und konnte ihre Tränen der Enttäuschung kaum noch zurückhalten. „Als ich diese Narbe sah und mir vorstellte, was Sie alles erleiden mussten, dachte ich, Sie seien der einzige Mann, der mir helfen könnte, der einzige, der Hamil Al-Ameer bekämpft hat und mit dem Leben davongekommen ist. Ich hielt Sie für stark und mutig, aber ich habe mich wohl getäuscht, nicht wahr? Ich habe mich getäuscht! Sie sind ein Feigling. Ein Feigling!“
Er wurde plötzlich ruhiger, holte tief Luft und entspannte sich. Zwischen ihnen war nur noch gleichmäßiges Atmen zu hören. Fast unmerklich lockerte er seinen festen Griff um ihre Handgelenke, aber sie hielt die Augen geschlossen. Sie war sich nicht sicher, was er als Nächstes tun würde, und wollte darüber hinaus nicht den Bann zerstören, der sie beide im Augenblick gefangenhielt.
Seine Finger spielten sanft um ihre schmalen Gelenkknöchel, seine Daumen fuhren an der Innenseite ihrer nach oben gestreckten Arme entlang, schließlich ließ er ihre Arme entspannt nach unten gleiten. Sanft, so sanft umschlossen seine Hände ihr Kinn und ihre Wangen, sie spürte seinen warmen Atem an ihrer Stirn und
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