Die Lady in Weiß
lebensgefährlich war. Vom Oberdeck her hörte er eilige Schritte, einen entsetzlichen Schrei und Rufe in einer Sprache, die er nicht verstand.
„ Verdammter Ungläubiger“, sagte der Mann mit dem Messer schweratmend. Sein Gesicht war Jeremiah so nah, dass er den glühenden Hass, der von dem Fremden ausging, geradezu spüren konnte. „Du sollst sterben wie das Schwein, das ihr heute geschlachtet habt. “
„Zum Teufel mit dem Gerede von dem Ungläubigen“, keuchte Jeremiah, „du bist ein verdammter schottischer Pirat!“
„Ich bin Hamil Al-Ameer, und du solltest Allah dafür danken, dass du in seinem Namen sterben darfst. “ Das Messer schob sich fester gegen Jeremiahs Kehle, und da wusste er, dass der Mann recht hatte: Er würde sterben. Aber er wollte nicht sterben, jetzt noch nicht, nicht auf diese Weise, und vergeblich wehrte er sich gegen Hamil, gegen die Dunkelheit und gegen den Schmerz.
„Ruhig, ganz ruhig, sie können dir nichts mehr anhaben“, flüsterte die Stimme der Frau, „ich bin bei dir, und du bist in Sicherheit.“
Zitternd und ohne zu wissen, wo er war, drehte Jeremiah sich auf die Seite, von der die Stimme kam. Neben ihm kniete, in sanftes Licht getaucht, eine weiß gekleidete Frau. War er schon gestorben, war er jenseits von Leben und Tod?
„Jeremiah, sieh mich an.“ Ihre Stimme war freundlich, aber unnachgiebig. „Sieh mich an, Lieber. Ich bin es, Caro. Was immer auch geschehen ist, es ist vorbei, und du bist hier bei mir. “
„Caro?“ Er versuchte, ihr Gesicht zu erkennen. Er atmete noch immer schwer. „Caro, du weißt nicht, was ich getan habe. Du ahnst ja nicht, was geschehen ist.“
Sie sah das Entsetzen in seinen Augen und legte schnell ihre Hand auf seine Wange. Sie wollte ihn nicht verlieren. „Wie hieß deine Mutter, Jeremiah?“
Verwirrt wandte er sich ab. „Mama?“
„Ihr habt alle zusammen auf eurer Farm gelebt, nicht wahr, Jeremiah?“, sagte sie leise. Sie wollte ihn ablenken, indem sie angenehmere Erinnerungen in ihm wachrief. Sie war sich nicht sicher, ob es ihr gelang, aber sie wollte nicht tatenlos dasitzen und zusehen, wie er in seine qualvollen Träume zurückglitt, ohne wenigstens den Versuch unternommen zu haben. „Deine Mutter, dein Vater und deine kleine Schwester Desiree?“
„Nein.“ Er hielt die Hände vor die Augen und seufzte so tief , dass es beinahe wie ein Schluchzen klang.
Sie beugte sich vor und sprach jetzt mit drängender Stimme. „Ich weiß, dass du dich an die Farm erinnerst, Jeremiah. Das große Haus auf dem Hügel am Meer? Du hast mir erzählt, dass es das größte Haus in der ganzen Kolonie war, als ihr dort lebtet.“
„Aber Mama war nicht dort.“ Er nahm die Hände von seinem Gesicht und streckte die Arme weit über den Kopf. Lange Zeit starrte er auf die groben Latten der Koje über ihm, ohne sie zu sehen. „Vater hat uns dorthin gebracht, damit wir bei unseren Großeltern lebten, nachdem Mama
gestorben war. “
„Oh, Jeremiah, es tut mir leid! “ Sie hatte ihn auf angenehmere Gedanken bringen wollen und ihn doch nur an noch mehr Trauer erinnert.
„Wenigstens hat sie nicht mehr miterlebt, was die Briten während des Krieges in Newport angerichtet haben. Sie starb kurz nach Obadiahs Geburt. Am Fieber, vermute ich.“ „Ich wusste nicht, dass du einen Bruder hast.“
„Habe ich auch nicht. Jedenfalls jetzt nicht mehr.“ Er sprach leise, und seine Stimme klang gepresst, aber wenigstens war die furchtbare Angst aus seinen Augen verschwunden, und er atmete ruhig. „Die Engländer haben ihn getötet, genau wie meinen Vater. Sie sind alle tot, nur Desiree und ich leben noch. Und natürlich die Kinder, die sie mit Jack hat. Obwohl sie seinetwegen als Engländer erzogen werden, nicht als Amerikaner. In England gilt es mehr, der Sohn eines Lords zu sein als der eines Sparhawk.“
Er schien dies zu bedauern, und irgendwie rührte sie das. „Hast du nie daran gedacht, zu heiraten und selbst Kinder zu haben?“
„Ich habe nie eine Frau getroffen, die verrückt genug war, mich zu nehmen.“ Er seufzte und strich mit den Fingern über das Schott. „Meine Mutter hieß Elizabeth Pattison Sparhawk. Sie hatte rotblondes Haar und klatschte in die Hände, wenn sie lachte.“
„Lachte sie oft?“, fragte Caro.
„Ständig, wenn Vater zu Hause war. Sie liebte ihn sehr, hat Großmutter erzählt. Er hat geweint, als Mama beerdigt wurde. Ich habe ihn sonst nie weinen sehen. “
Er drehte sich auf die Seite und stützte
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