Die Lady in Weiß
interessant. Aber gerade, als Bertie den Brief zur Seite legen wollte, fiel ihm ein Satz auf. Die sparsame Tante war mit ihrem Liebhaber durchgebrannt und hatte ihren Ehemann mitsamt seinem Vermögen für den hoffnungsvollen Erben und Schreiber des Briefes zurückgelassen. Die verschwundene Tante hieß Caro, ihr Liebhaber war ein gewalttätiger Grobian, und wohin die beiden verschwunden waren, konnte man sich denken.
Bertie wusste es sogar. Zu gern hätte er diesem Yankee seine Meinung gesagt, aber es war sicher besser, zu warten, bis die Raleigh Neapel erreicht hatte.
Er würde sich an die alte Countess persönlich wenden, ihr seinen Respekt bekunden und ihr dann mitteilen, dass es ihm eine große Ehre gewesen sei, Lord und Lady Byfield auf seinem Schiff befördert zu haben. Er würde ihr sagen, dass er natürlich den Wunsch der beiden nach Anonymität respektiere, aber die gute Erziehung der Lady habe sie trotz der falschen Namen verraten. Und was den sogenannten Ehemann betraf - nun, er würde die wahre Identität des Mannes preisgeben. Dann konnte die alte Dame entscheiden, ob sie ihn für seine Ehrlichkeit belohnen oder für sein Schweigen bezahlen wollte. Wie sie sich auch entschied - er würde Guineas und Gold bekommen, und nicht zu wenig.
Er würde für seine Rache auch noch bezahlt werden. Bertie lachte laut, als er sich vorstellte, wie der unverschämte Yankee der alten Countess in die Hände fiel.
9. Kapitel
Sie sehen aus wie ein Mann, der zu kämpfen versteht, Mr Sparhawk“, sagte Hart, der eifrige junge Mann, der als Maat auf der Raleigh diente. Jeremiah war an Deck gegangen, während Caro sich ankleidete. Obwohl der fröhliche Maat nicht ganz die Art von Gesellschaft war, die er gewöhnlich so früh am Morgen suchte, hatte Hart zumindest nichts von Berties Streitlust an sich.
Mit sichtlichem Stolz strich der junge Mann über die kleine Kanone, die er gerade poliert hatte, und grinste Jeremiah an. „Wir fahren nur ein Handelsschiff, aber der Captain legt Wert darauf, dass wir uns verteidigen können, wenn es zu einem Kampf kommt. Sie sehen ja selber, was er alles getan hat, um uns ordentlich auszurüsten.“
Obwohl Jeremiah früher ebenfalls nur auf Handelsreisen unterwegs gewesen war, hatte er schon mehr Kämpfe gesehen als mancher Kapitän der Marine. Insofern hatte der Junge recht. Aber Harts Meinung über die vier armseligen kleinen Kanonen, mit denen Bertie sein Schiff versehen hatte, war entweder von seinem Stolz oder von seiner Loyalität beeinflusst. Jeremiah war der festen Überzeugung, dass die Waffen älter waren als Hart selbst. Vermutlich würden sie weder genau genug zielen noch weit genug treffen, um den Feind zu beeindrucken, da half auch alles Polieren nichts mehr. Wer ein Handelsschiff auf diese Weise ausrüstete, suchte die Auseinandersetzung, denn jedes feindliche Schiff würde die Kanonen als Vorwand nutzen, um zuerst schießen zu dürfen.
„Wie gern würde ich hier einem Franzosen begegnen!“, fuhr Hart fort. „Wenn irgendein französisches Schiff in Schussweite kommt, dann werde ich den Kerlen zeigen, was
man unter britischem Wagemut versteht! “
„Seien Sie vorsichtig mit Ihren Wünschen“, entgegnete Jeremiah trocken. Vor langer, langer Zeit war er genauso eifrig gewesen, dem Feind gegenüberzutreten. Seine erste Begegnung mit einer feindlichen Fregatte und der Anblick des Blutbades, angerichtet von einer einzigen Breitseite, hatte seinen jungendlichen Überschwang schnell gedämpft. „Die Anwerbetrupps würden Sie sofort ergreifen. “
„Oh, die können mir nichts anhaben“, erklärte Hart gut-gelaunt. „Mein Vater hat dem guten alten Bertie zwanzig Guineas gezahlt, damit er mich als Maat anheuert, sodass die Anwerbetrupps mich in Ruhe lassen. Schiffsführer und Maat dürfen sie nicht anrühren, so will es das Gesetz.“ „Seien Sie da nur nicht so sicher.“ Jeremiah traute Bertie durchaus zu, dass er den armen Hart verriet und dafür auch noch die Prämie der Marine kassierte. Er blickte zum Horizont, versuchte, die Zeit nach dem Stand der Sonne abzuschätzen, und wunderte sich, warum Caro noch nicht gekommen war. Sie war schon wach gewesen, als er die Kabine verlassen hatte. Das war jetzt mindestens eine Stunde her.
„Ist ja auch egal“, sagte Hart, und seine Enttäuschung war ihm deutlich anzumerken. „Wir werden zwischen hier und Neapel sicher keinen einzigen Franzosen zu sehen bekommen und schon gar keine Gelegenheit haben, einen Schuss
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