Die Lady in Weiß
Überfahrt zu unterbrechen.
Vor allem wollte sie ihn glauben machen, dass sie genauso heiter und sorglos war wie er selber. Warum sollte er es auch nicht sein? Er war ja nicht verheiratet, er hatte nichts Falsches getan. Sie dagegen hatte das Vertrauen missbraucht, das einer der liebenswertesten Männer ihr entgegenbrachte. Es war schließlich nicht Fredericks Schuld, dass sie ihn zwar lieb hatte, aber niemals in ihn verliebt gewesen war - ein Unterschied, den sie erst seit Kurzem kannte.
Jeremiah sah zu, wie sie mit einer anmutigen Bewegung das Fernrohr an ihre Augen hob. Ihre Hände in den schwarzen Lederhandschuhen wirkten auf dem polierten Messing besonders zart. Zur Hölle mit ihrem feinen, damenhaften Getue! Er vermisste ihren boshaften Witz und ihr fröhliches Lachen. Sie hatte den Schleier hinter die Hutkrempe zurückgesteckt, und jetzt wirkte ihr sanftes Gesicht genau so, wie es sich für eine Countess gehörte. Nur die Sommersprossen auf ihrer Nase erinnerten noch an früher.
Vielleicht war die Aussicht, Lord Byfield bald wieder gegenüberzustehen, schuld daran, dass sie sich jetzt ihm gegenüber so zurückhaltend verhielt. Vielleicht aber war dies auch die echte Caroline Moncrief, und die Frau, in die er sich verliebt hatte, war nur eine geschickte Schwindlerin.
Wer immer sie in Wirklichkeit sein mochte, es war ihr gelungen, auf Distanz zu bleiben. Keine Küsse mehr, keine weiteren Geständnisse, und irgendwie gelang es ihr, sich ohne seine Hilfe an- und auszuziehen. Sie brauchte ihn nicht. Und das war auch für ihn am besten.
Zu schade nur, dass er selbst nicht daran glaubte.
„Ist Sardinien ein eigener Staat?“, fragte sie und spähte durch das Fernrohr.
„Ein Königreich, so weit ich weiß, falls General Bonaparte es nicht inzwischen annektiert hat.“ Wieder dieses nichtssagende Geplauder, dachte er verächtlich. Sie sah nicht einmal in die Richtung, in der Sardinien lag. „Mein Schiff hat hier nie einen Hafen angelaufen, daher weiß ich nicht viel über die Insel.“
„Kennst du ihre Flagge?“
„Rot mit gelben Streifen, glaube ich. Sie haben so wenig hochseetaugliche Schiffe, dass ich sie höchstens ein halbes dutzendmal gesehen haben kann.“
Caros Schleier wehte vor ihr Gesicht, und mit einer ungeduldigen Handbewegung schob sie ihn zurück, ohne das Fernrohr zu senken. „Diese Flagge könnte rot und gelb sein, aber ich glaube es eigentlich nicht. Nein, jetzt sehe ich es genau. Sie ist blau, weiß und rot.“
„Was, zur Hölle ...! “ Jeremiah riss ihr das Fernrohr aus den Händen. Selbst aus dieser Entfernung konnte er die französische Flagge ausmachen sowie drei winzige weiße Punkte, die Marssegel, die das Schiff als Fregatte kennzeichneten. Und wenn Caro sie vom Deck aus sehen konnte, dann hatten die Franzosen die Raleigh vom Ausguck aus sicher längst entdeckt. Jeremiah fluchte leise. Sie waren so nah am Ziel und würden jetzt vielleicht in die Hände des Feindes geraten. Es war beinahe so wie mit der Chanticleer. Lieber Gott, betete er, mach ein Ende mit Kampf und Krieg.
„Es ist ein französisches Schiff, nicht wahr?“ Caro stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. „Es hieß doch, England würde vielleicht in den Krieg mit Frankreich eintreten. Wenn das inzwischen der Fall ist, dann werden sie versuchen, uns aufzubringen, oder?“
„Das werden sie ganz bestimmt.“ Jeremiah blickte zu dem Mann im Ausguck der Raleigh hoch, der verträumt die bläulich schimmernden Hügel von Sardinien betrachtete. Er unterdrückte eine scharfe Bemerkung. Dies war nicht sein Schiff, er durfte sich nicht einmischen, auch wenn die Sorglosigkeit dieses Mannes sie in große Gefahr gebracht hatte.
Bertie war nicht an Deck, aber Hart war da. Mit wenigen Schritten war Jeremiah bei ihm und drückte ihm das Fernrohr in die Hand. „Sie wollten doch Franzosen sehen, Hart. Bitte, hier sind die Bastarde, in Lebensgröße und direkt hinter Ihnen.“
Hart sah durch das Fernrohr und zuckte zusammen wie ein Hund, der ein Kaninchen witterte. „Wir werden ein wenig Unterhaltung bekommen, nicht wahr, Sir?“ Er kicherte in freudiger Erwartung. „Was für ein Glück! Was für ein verdammtes Glück!“
Jeremiah sah ihn ungläubig an. „Wenn das Ihre Vorstellung von Glück ist, dann möchte ich nicht wissen, was Sie unter Unglück verstehen. Wo ist der Kapitän?“
„In seiner Kajüte. Er möchte nicht gestört werden. Er ruht sich nach dem Frühstück immer noch ein wenig
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