Die Lady in Weiß
zog, genügte dieser Blick allein, um jeden Müßiggänger und Seemann an Bord zum Schweigen zu bringen. Trotz ihres Versprechens, tapfer zu sein, rückte Caro näher an Jeremiah heran.
„Lieber Himmel“, sagte sie kaum hörbar, „was können die nur wollen?“
Jeremiah zog sie an sich und legte schützend den Arm um ihre Schultern. „Keine Sorge, Liebste. Wir werden es bald herausfinden. “
Aber er wusste es bereits. Er hatte es in dem Moment erkannt, als er den ersten Mann erblickte. Immer wieder hatte er den Albtraum erlebt. Jedes Geräusch, jeder Geruch, jede Einzelheit hatte sich für immer in seinem Gedächtnis eingegraben. Aber was, um Himmels willen, hatte er nur getan, dass das Schicksal ihm einen solchen Streich spielte?
Der letzte Mann, der an Bord kam, war der Anführer. Sein beinahe fürstliches Gebaren ließ keinen Zweifel daran. Zu Caros Überraschung war es ein Europäer, möglicherweise sogar ein Engländer. Sein langer Bart schimmerte rotgolden, die Augen waren von hellem Blau, und er hatte eine lange gebogene Nase.
Seine Weste war in Gold und Silber reich bestickt, darunter trug er ein ebenfalls mit Stickereien verziertes Hemd aus weißer Seide. In seiner Schärpe steckte ein Paar wunderschöner, silberbeschlagener Pistolen, ein Säbel mit emailliertem Griff hing an seinem Gürtel, und in der Mitte seines Turbans prangte ein geschliffener Amethyst. Seine Männer waren barfuß, er aber trug ein Paar rote Stiefel aus weichem Leder, und an der Art, wie er breitbeinig und mit verschränkten Armen an Deck stand, war deutlich zu sehen, dass er sich seiner imponierenden Erscheinung durchaus bewusst war.
Als er seinen Blick umherschweifen ließ, stieß einer der Passagiere einen Schrei des Entsetzens aus und stürzte zu Boden. Zitternd und schluchzend lag er da, und alle anderen wichen vor ihm zurück. Doch der Mann mit dem roten Bart achtete nicht auf sie. Caro fühlte, wie Jeremiah seine Finger in ihre Schulter krallte, und sie hörte ihn leise fluchen.
Tomaso stürzte vor und verbeugte sich so tief über seinem ausgestreckten Bein, dass er mit der Stirn sein Knie berührte und sein Zopf nach vorn fiel. „Es ist mir eine Ehre, vostra magnificenza, vostra superioritä, vostra „Hör auf mit deinem Geschwafel, Tomaso“, unterbrach ihn der rotbärtige Mann. „Ich habe keine Zeit zu verlieren. In der Nachricht stand, dass du ein Geschenk für mich hast, damit deine elende Feluke auch in Zukunft sicher ist.“ Ungeduldig sah er sich noch einmal an Deck um. Diesmal blieb sein Blick an Caro hängen, und das unverhohlene Interesse, mit dem er sie musterte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.
„Jeremiah“, flüsterte sie, zu erschrocken, um wegsehen zu können, „wer ist das?“
„Hamil Al-Ameer“, sagte er heiser. „Und Gott steh uns bei, denn wir sind das Geschenk.“
15. Kapitel
Caro stöhnte auf. Hamil Al-Ameer war der Mann, der ihren Frederick gefangengenommen hatte, der
Jeremiahs Schiff mitsamt der ganzen Besatzung gekapert und ihn selbst ins Meer geworfen hatte.
Der Mann, den Jeremiah töten wollte.
Sie drehte sich in Jeremiahs Arm herum, um sein Gesicht sehen zu können, und sie erblickte darin einen so erbitterten, gnadenlosen Hass, wie sie ihn nie zuvor gesehen hatte. Dann wandte sie sich wieder Hamil zu. Seine Männer hatten sich zu beiden Seiten von ihm in einer Reihe aufgestellt. Wenn Jeremiah Hamil jetzt angriff, würden sie sich sofort auf ihn stürzen und ihn vor ihren Augen in Stücke reißen.
Sieben gegen einen, auf diese Bedingungen würde sich kein vernünftiger Mann einlassen. Aber Caro war sich nicht sicher, ob Jeremiah vernünftig war, wenn es um Hamil ging. Er hatte zu sehr gelitten, hatte zu viel ertragen müssen. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu, und ihr Herz schlug wie wild, als sie erkannte, was sie tun musste, um ihn vor sich selbst zu schützen.
In der allgemeinen Aufregung achtete niemand auf sie, als sie nach der Pistole tastete. Mit zitternden Fingern spannte sie den Hahn und umklammerte den Knauf mit ihrer feuchten Hand. Sie schluckte schwer, und in Gedanken sprach sie ein Gebet für Jeremiah. Sie liebte ihn so sehr, dass sie dies hier für ihn tun musste. Sie würde sogar noch mehr tun. Dann zog sie, so schnell sie konnte, die Pistole hervor, zielte auf den Bauch des Mannes mit dem roten Bart und drückte ab.
„Caro, nicht! “ Sie hörte Jeremiahs Aufschrei, während die Waffe in ihrer Hand zu explodieren schien. Durch den
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