Die Lady mit dem Bogen
das musste ich gar nicht.«
Unwillkürlich lächelte er. Ihr knapper und reservierter Ton verbarg den Humor ihrer Antwort. War dies Absicht, oder wollte sie ihn zum Lachen bringen? Oder war sie wirklich so naiv, wie sie sich anhörte? Ein erstaunlicher Gedanke, aber schließlich war alles, was er bisher an Schwester Mallory gesehen hatte, erstaunlich.
»Aber Ihr seid in Sicherheit«, fuhr sie fort.
»Ich?«, fragte er ebenso erstaunt wie vorhin.
»Habt Ihr nicht die Männer auf dem Schiff gesehen?«
Er wollte nicht zugeben, dass er von dem Moment an, als er sie unter den andere Passagieren auf dem überfüllten Schiff erblickt hatte, für nichts anderes mehr Augen gehabt hatte. »Es waren über ein Dutzend.«
»Fast zwanzig.« Sie schob die Kapuze ihres Umhangs zurück, und ihr dunkles, mit silbernen Bändern durchflochtenes Haar glänzte in den letzten Sonnenstrahlen des Tages feurig rot. »Einige gehörten zur Besatzung, doch waren etliche darunter, die aussahen, als kämen sie aus Brabant.« Sie senkte die Stimme mit einem Blick zu den Häusern, die die in vielfachen Krümmungen verlaufende Straße säumten. »Söldner, die sich bei König Henry dem Älteren verdingen und für ihn kämpfen wollen. Gold und Ruhm winken jenen, die als Sieger aus diesen Kämpfen hervorgehen.«
»Söldner? Ich weiß nichts davon, dass der König Söldner anwirbt.«
Sie lachte verbittert auf und sprach im Flüsterton weiter, als ihnen Leute entgegenkamen. »Was bleibt ihm denn übrig? Seine Söhne können mit dem Beistand des französischen Königs und jener Verbündeten rechnen, die sie unter den Untertanen König Henrys gewannen. Sie schlagen ihn an allen Fronten. Hätte man Euch als Gefolgsmann der Königin erkannt, hätte es Euch das Leben kosten können.«
»Für Eure Besorgnis sollte ich wohl dankbar sein.«
»Meine Sorge gilt allen Getreuen der Königin.« Sie warf einen Blick zurück zum Fluss, der sich wie ein schimmerndes Band jenseits der Mauer dahinzog. »Die Königin muss ohne Verzug informiert werden. Ich nehme an, Ihr bringt mich zu ihr.«
»Wir gehen direkt zum Palast. Durch den Burggraben und ihre Wachen geschützt, könnt Ihr in Ruhe abwarten, ob sie Euch sehen will.«
»Warum sollte sie mich nicht sehen wollen? Sie kam nach St. Jude’s Abbey, um mich hierherzubeordern.«
»Das liegt zwei Wochen zurück.«
»Es dauerte länger, als ich dachte, um nach Poitiers zu gelangen.« Einigen gesprungenen Pflastersteinen ausweichend, blickte sie zu ihm auf. »Seit wann seid Ihr schon da?«
»Fast eine ganze Woche.«
»Weil Ihr die bequemste und kürzeste Route gewählt habt. Das konnte ich nicht. Ich musste einen anderen Weg nehmen.«
Er konnte sich nicht zurückhalten und lachte laut. Einige Vorübergehende sahen ihn an, die meisten aber gingen weiter, da sie vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause wollten. »Das meinte die Königin aber nicht, als sie sagte, wir dürften nicht zusammen reisen.«
»Wenn das so ist«, sagte sie schon ruhiger, »dann entschuldige ich mich für meine Beschränktheit. Hoffentlich bin ich nicht zu spät dran, um zu tun, was sie von mir will.«
Obwohl es ihn drängte, ihr zu sagen, dass die Königin sich täglich mit wachsender Ungeduld erkundigt hatte, ob Schwester Mallory schon eingetroffen sei, tat er es nicht. Ihr die Stimmung zu verderben half nicht, seine Laune zu heben, weil er nun nicht mehr in seiner Rolle als versoffener Liebhaber mit gebrochenem Herzen zum Kai zurückkehren konnte. Er musste einen anderen Weg finden, jedes einlaufende Schiff unauffällig zu beobachten.
»Sicher wird sie eine Aufgabe für eine Frau finden, die allein drei Diebe aufhalten konnte«, sagte er stattdessen.
»Ihr klingt verärgert.«
»Verärgert?« Genau das war er, doch hatte er geglaubt, seine Verstimmung verbergen zu können. Ihre Ankunft würde alles noch komplizierter machen, als er gedacht hatte, da eine Frau mit so viel Scharfblick sicher sehen würde, was anderen entgangen war.
»Weil ich die Diebe allein aufhielt.«
»Seid versichert, dass ich sehr wohl fähig bin …«
Hinter ihnen ertönte ein Aufschrei. »Es sieht so aus, als hättet Ihr die Chance, es jetzt zu beweisen, Fitz-Juste«, sagte sie, als sie sich umdrehte und Jacques Malcoeur und seine von Rachsucht erfüllten Kumpane sah, die ihnen nachsetzten und die anderen Passanten in der dunkler werdenden Straße rücksichtslos beiseitestießen. Jacques hielt eine Fackel hoch, in deren Licht die scharfen Schneiden der
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