Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
Beachtung. Beim Training war sie schon schlimmer verletzt worden.
»Er traf nahe genug, um einen Mann außer Gefecht zu setzten«, sage der rothaarige Junge neben der Königin. »Ihr habt ein sehr gutes Auge, Lady Avisa.«
Trotz ihrer Entschlossenheit, der Abtei keine Schande zu machen, zuckte Avisa zusammen. Der Titel Lady stand ihr von Rechts wegen zu, doch sie war seit ihrer Ankunft im Kloster immer nur Schwester genannt worden.
Königin Eleanor legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. »Das reicht, Richard.« Mit einem Blick, der Avisa galt, fuhr sie fort: »Aber ich muss meinem Sohn beipflichten – und Euch ebenso. Ihr handhabt den Bogen beinahe so geschickt wie das Schwert.«
»Danke, Euer Majestät.« Sie beugte den Kopf, damit man ihr ihren Stolz nicht ansah. Im Kloster hieß es, Stolz sei eine Sünde und daher verwerflich. Und doch vermochte sie ihn nicht zu unterdrücken.
»Kommt mit uns, ich möchte noch mit Euch sprechen, Avisa de Vere.«
Fragen drängten sich ihr auf die Lippen, doch sie unterdrückte sie. Einen Befehl der Königin musste man befolgen.
Mit einem Blick, der den Wasserflecken der Abteimauern und den schmalen Fenstern galt, wiederholte Avisa das Dankgebet, das sie schon oft gesprochen hatte. Als ihre Familie sie vor ihrem zweiten Geburtstag dem Kloster übergeben hatte, konnte diese nicht ahnen, was sie hier lernen würde. Sie vermutete, dass ihren Eltern vor allem daran gelegen war, sich das Wohlwollen der Königin zu sichern, indem sie ihre jüngste Tochter einem Leben der Frömmigkeit und Meditation zuführten. Es war ihr großes Glück, dass die Abtei St. Jude für die Schwestern eine völlig andere Ausbildung vorsah.
Tapferkeit hatte in ihrer Familie eine große Tradition, und ihr Vater, der stets für den König eingetreten war, bildete keine Ausnahme. Nie hatte er sich gescheut, sich den Gegnern des Königs entgegenzustellen, und immer war er siegreich und ehrenvoll aus diesen Konflikten hervorgegangen. Er wäre stolz auf sie – hätte er geahnt, dass sie in ritterlicher Kampfkunst unterwiesen wurde.
Sie strich mit dem Finger über den abgerundeten Schwertgriff. Da die Klinge kürzer war als bei einem Männerschwert, musste sie Wege finden, diesen Mangel auszugleichen. Jetzt brachte sie ihr Wissen anderen bei, die Neigung dazu zeigten. Keine Novizin wurde gezwungen, sich in der Waffenkunst zu üben, es gab hier Schwestern, die ein Leben führten, wie es auch in anderen Klöstern üblich war. Es war ein Leben, das ihr niemals genügt hätte.
Als Avisa der Königin ins Haus der Äbtissin folgte, bildeten die Männer den Schluss, so dass sie versucht war, einen Blick über die Schulter zu werfen, ob Königin Eleanor nicht noch andere Überraschungen für sie geplant hatte. Ein zweites Mal ließe sie sich nicht in einen Hinterhalt locken. Der Mann hatte gut gekämpft; wenn er sie abermals mit seinem Schwert attackierte, könnte sie ihren Trick nicht wieder anwenden. Sie lächelte andeutungsweise. Dies war nicht die einzige Methode, die sie gelernt hatte, um einen Schwertkämpfer zu entwaffnen.
Die Korridore des Hauses der Äbtissin waren wegen der Dunkelheit des frühen Winters gut erhellt. Unter ihren Füßen lagen Binsenmatten, die bei jedem Schritt raschelten und die würzigen Düfte der unter sie gemengten Kräuter verströmten.
Als sie bemerkte, wie der Königssohn neugierig um sich blickte, wiewohl die Königin weder nach rechts noch nach links sah, unterdrückte Avisa abermals einen Anflug von Stolz. Die Abtei war solide gebaut, und ihre Wände bedeckten Tapisserien, die den Neid der Lehensmänner des Königs geweckt hätten.
Die Privatgemächer der Äbtissin lagen im obersten Stock, den sie über eine immer enger werdende Wendeltreppe erreichten. Ganz oben war sie so eng, dass zwei Personen nebeneinander keinen Platz fanden. Die Fenster lagen so tief in die dicken Mauern eingelassen, dass Avisa sie mit der Spitze ihres Schwertes kaum hätte berühren können.
Sie gelangten in den obersten Stock, der identisch mit dem Erdgeschoss war. Avisa sagte nichts, als die Königin ohne zu zögern die Richtung zu den Privatgemächern der Äbtissin einschlug. Hatte die Königin St. Jude’s schon einmal besucht? Ausgeschlossen! Ein solches Ereignis hätte die Abtei in einen aufgeregt summenden Bienenstock verwandelt.
Königin Eleanor warf lächelnd einen Blick hinter sich. »Ihr dürft Euch nicht wundern, Lady Avisa. Während der Errichtung dieses Klosters machte ich mich
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