Die Lagune Der Flamingos
Tür, trat dann aber gleich ein. Estella saß auf dem großen Bett, eine leichte Decke um die Schultern gelegt, wie sie das beide früher immer getan hatten.
»Estella!«, sagte Marlena mit rauer Stimme.
Estella hob den Kopf. Zuerst blickte sie ernst drein, dann kerbte sich ein Lächeln in ihre Mundwinkel. »Marlena.« Sie zögerte, sprach dann aber weiter. »Du hast zwei hübsche Kinder. Ist John noch in Buenos Aires? Kommt er nach?«
»Nein, ich …« Marlena suchte nach Worten. Estella erkannte ihr Unbehagen.
»Du musst nichts sagen. Hat es sich nicht so entwickelt, wie du es dir gewünscht hast?«
Marlena schüttelte den Kopf. Ihr Körper spannte sich an, während sie sich auf ihre Verteidigung vorbereitete. Doch Estella sah sie nur nachdenklich an.
»Du musst wirklich nichts sagen. Es tut mir leid um deine Wünsche.«
»Wirklich?«
»Natürlich. Wir waren doch einmal Freundinnen, oder?«
Marlena biss sich auf die Lippen. Nein, sie würde jetzt nicht daran erinnern, was sie einander angetan hatten. »Ja, das waren wir. Und wie ist es dir ergangen?«
Estella zuckte die Achseln. »Ich habe einen Mann kennengelernt, Marco, einen jungen Arbeiter. Seit ich ihn kenne, weiß ich, dass ich nie wirklich in John verliebt war. Ich …«, sie hielt kurz inne, schien sich nicht zu trauen, Marlena anzuschauen, und hob dann doch den Kopf, »… ich glaube, ich wollte John nur haben, weil er sich für dich interessiert hat.«
Wieder schluckte Marlena eine Erwiderung herunter. Sicherlich wären viele Dinge einfacher gewesen, wenn Estella ihr nicht so viele Steine in den Weg gelegt hätte, aber darüber konnten sie später reden.
»Erzähl mir von Marco«, sagte sie also stattdessen leise.
Estella zog die Decke etwas enger um sich. Kurz blitzte die Erinnerung an einen Sonntagnachmittag in den Zuckerrohrfeldern in ihr auf. Marco hatte von seiner Arbeit erzählt. Später hatte er sie noch zu den Anlagen mitgenommen und ihr beschrieben, wie das Zuckerrohr verarbeitet wurde. Sein Interesse hatte ihres geweckt. Sie hatte sich gefragt, ob sie ihren Eltern von seinen Plänen erzählen sollte. Etwas später hatte sie es getan, und das hatte letztendlich dazu geführt, dass er nach Buenos Aires gegangen war. Manchmal schrieb er ihr, aber eher selten. Er war kein Mann geschriebener Worte. Es gab wohl Wichtigeres in seinem Leben als die Liebe. Und Estella war zu stolz, ihn darum zu bitten, zu ihr zurückzukommen. Eine Santos bettelte nicht um die Liebe eines Mannes. Was war denn, wenn Marco in Buenos Aires eine andere kennengelernt hatte? Konnte sie sich seiner Zuneigung überhaupt sicher sein? Nur gut, dass sie ihm nicht nach Buenos Aires gefolgt war …
»Da gibt es nicht viel. Er hat für meine Eltern gearbeitet. Ich konnte gut mit ihm reden, aber dann ist er nach Buenos Aires gegangen … Er interessierte sich für Maschinenbau. Er wollte mehr darüber lernen.«
Estella dachte an den Moment, an dem sie sich zum ersten Mal begegnet waren, als sie ins Straucheln geraten und fast gestürzt war, dachte daran, dass sie sich gewünscht hatte, für immer so stehen zu bleiben. Dann waren sie sich nähergekommen und irgendwann war die Zeit des Abschieds da gewesen. Sie hatten einander geliebt, und sie hatte sich so sehr gewünscht, aus ihrer Liebe würde ein Kind entstehen. Es hatte lange gedauert, bis sie akzeptieren konnte, dass in ihrem Leib kein Leben heranwuchs. Estella unterdrückte einen Seufzer.
Sag doch die Wahrheit, mahnte jetzt eine Stimme in ihrem Kopf, sag, dass du ihn liebst.
»Du bist damals schnell schwanger geworden, oder?«, hörte sie sich stattdessen sagen.
Marlena sah Estella verblüfft an. »Ja«, sagte sie dann vorsichtig. »Ja, das stimmt.«
»Wie lange hast du John nicht gesehen?«
»Ein Jahr.«
Marlena setzte sich neben Estella auf das Bett und zog ebenfalls die Decke um ihre Schultern. Beide hingen sie ihren Gedanken nach.
»Vermisst du ihn?«, fragte Estella nach einer Weile.
»Ja …« Marlena zögerte. »Obwohl ich mir wünsche, ich würde es nicht tun. Es … es war wirklich nicht leicht mit ihm«, fuhr sie dann leiser fort. »Ich habe mir nicht vorstellen können, dass es so werden würde.«
»Das tut mir leid.«
Marlena kamen plötzlich die Tränen. »O mein Gott! Was ist nur aus uns geworden?«, brachte sie schniefend hervor.
Estella verschränkte die Arme, als müsse sie sich davon abhalten, Marlena zu berühren. »Vielleicht … vielleicht hätten wir damals …«, setzte sie leise an.
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