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Die Lagune Der Flamingos

Die Lagune Der Flamingos

Titel: Die Lagune Der Flamingos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofia Caspari
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Gegensätze, die beim gemeinsamen Aufenthalt an Deck offenbar wurden. Auch auf diesem Schiff gab es unter der ungeheuren Zahl der Auswanderer viele, die sich, wie auch Marlenas Mutter Anna bei ihrer ersten Reise, nur das Zwischendeck leisten konnten. In aller Frühe strömten diese Mitreisenden an Deck, in Kleidungsstücken, die selbst Marlena, die Armut in den ersten Jahren ihres Lebens doch am eigenen Leib erfahren hatte, jedes Mal aufs Neue erstaunten. Einer trug eine Hose, notdürftig aus grobem Sackleinen gefertigt, das noch nach gedörrten Pflaumen oder halb verfaulten Orangen roch, eine Frau hatte eine zerfetzte, spitzenbesetzte Brokatrobe an, dazu einen zerschlissenen Rock. Durch die fadenscheinige Hose eines anderen Mitreisenden schimmerte nackte Haut hindurch. Marlenas Bleistift flog nur so über das Papier. Skizze um Skizze entstand, manche nur grob ausgeführt, um später zu Hause beendet zu werden.
    Das Schönste aber, so befand Marlena, waren die Nächte. Hunderte von Reisenden, zumeist Italiener, bevölkerten dann das Deck. Männer und Frauen lagen nebeneinander auf ihren Mänteln, oder was immer sonst ihnen als Unterlage diente, ausgestreckt, irgendein Bündel als Kissenersatz unter den Kopf geschoben. Halblautes Geplauder tränkte die warme Luft. Manchmal weinte ein Kind und wurde durch Flüsterworte besänftigt. Da und dort stiegen die getragenen Rhythmen eines Liedes auf, und wenn man am Bootsrand stand und auf das Wasser hinuntersah, glaubte man, die Sterne, die das Mondlicht widerspiegelte, darin schwimmen zu sehen.
    Marlena war unter den Ersten gewesen, die sich an der Reling einfanden, als nach weiteren acht Tagen Fahrt von Cádiz aus die Insel São Vicente gemeldet wurde, wo die Nordamerika wieder anlegen würde, um Kohlen zu fassen. Wie ein zarter Nebelstreif war das Land zuerst nur am Horizont sichtbar gewesen. Je näher sie gekommen waren, desto massiger traten die Konturen hervor, und bald drängten sich alle – sogar die Seekranken – an Deck und verschlangen mit ihren Blicken die sich nähernde Insel. Als das Schiff anlegte, gingen einige Reisende, unter ihnen auch Julius und Anna, an Land. Sosehr sie sich auch bemühten, gestaltete sich das Leben an Bord doch wenig abwechslungsreich, und die meisten Reisenden waren froh über die Unterbrechung des Einerlei. Zwei warfen sich sogar in die Fluten, um zu baden, blieben jedoch in Ufernähe der Haie wegen.
    Marlena hatte sich mit ihrem Skizzenblock an der Reling platziert und ließ den Bleistift über das Papier huschen, um ja nichts zu verpassen. Die zwei Schwimmer schienen großen Spaß zu haben, und einen Moment lang beneidete Marlena die Männer um ihre Freimütigkeit. Es war natürlich ganz und gar unmöglich für eine Dame, es ihnen gleichzutun, sosehr diese auch unter der Sonne leiden mochte. Wie war es wohl, im Meer zu schwimmen?
    Neckende und ängstliche Rufe begleiteten die beiden Männer vom Land her. Ein paar andere schienen noch zu überlegen, ob sie sich den mutigen Schwimmern anschließen sollten, doch konnte sich offenbar keiner dazu durchringen.
    Von Julius wusste Marlena, dass São Vicente zur Kapverdischen Inselgruppe an der Westküste Afrikas gehörte. Das Eiland war nahezu ohne Vegetation, die meisten Bewohner afrikanischer Herkunft. Die recht saubere Hafenstadt Mindelo war von kahlen, merkwürdig geformten Bergen umgeben. Sa˜o Vicente war eine wichtige Versorgungsstation für die Dampfschiffe, die den Atlantik durchquerten. Obgleich sich die Insel formal immer noch in portugiesischer Hand befand – die behördlichen Organe trugen auch alle portugiesische Amtsmützen –, floss das Geld, das von den Dampfern hier zurückgelassen wurde, in englische Taschen, denn die Kohle wurde von zwei britischen Gesellschaften geliefert.
    Wenig später lehnte Marlena an anderer Stelle an der Reling und beobachtete, dieses Mal sehr nachdenklich, ein Schauspiel, das zwischen der Nordamerika und einem weiteren wartenden Dampfer stattfand. Dort hatte sich nämlich mittlerweile eine Anzahl kleiner Boote gesammelt, Nussschalen eher, aus wenigen Brettern behelfsmäßig zusammengezimmert. Sehr junge, dunkelhäutige Burschen saßen darin und schienen auf irgendetwas zu warten.
    Während Marlena sich noch fragte, worauf wohl, flog von der Nordamerika auch schon eine Münze ins Wasser. Der erste Bursche warf sich kopfüber in die Fluten und kehrte bald triumphierend grinsend mit seiner Beute an die Oberfläche zurück. Immer und immer wieder

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