Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Antonio. Sie wurden gewahr, dass hier noch ein aufrecht stehender Feind am Leben war. Mit ihrem Schlachtruf France auf den Lippen stürzten sie sich auf ihn. Antonio wollte sein Schwert ziehen, um sich ihrer zu erwehren, doch dabei merkte er, dass er es verloren hatte, ebenso wie seinen Dolch. Nein, das stimmte nicht, wie er sich erinnerte. Den Dolch hatte er einem feindlichen Soldaten in den Leib gestoßen, nur einen Wimpernschlag bevor dieser ihn mit seinem Degen hatte aufspießen können. Die Schneide des Messers hatte sich zwischen den Rippen des Mannes verklemmt, sodass Antonio ihn wohl oder übel dort stecken lassen musste, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, vom nächsten Angreifer einen Kopf kürzer gemacht zu werden. Das Schwert hatte er Ippolito gegeben, der seine eigene Waffe im Zweikampf verloren hatte und sich vor Raffaeles leblos hingestrecktem Körper aufgebaut hatte, um ihn gegen alle Angreifer zu verteidigen. Antonio wusste nicht, was aus den beiden geworden war. Er hatte sich mit dem Dolch eines Gefallenen auf den nächstbesten Franzosen gestürzt, der ihn attackierte, und gleich darauf hatte er dessen Schwert an sich gebracht, das sich indessen als lächerlich schmaler Degen entpuppt hatte, mit dem sich keine Hiebe austeilen ließen. Alles, was danach geschehen war, lag unter einem Schleier. Antonio betastete erneut seine Stirn und erkannte, dass jemand ihm buchstäblich den Kopf gespalten hatte. Mit den Fingerspitzen konnte er in Höhe seines Haaransatzes den nackten Knochen ertasten. Als wäre diese Erkenntnis alles gewesen, was sein Körper noch brauchte, um seine eigene Schwäche zu begreifen, sackte er in die Knie. Die Franzosen, eben noch im Begriff, ihm ihre Schwerter in den Leib zu rennen, blieben stehen und ließen die Waffen sinken.
»Armes Schwein, er stirbt sowieso«, sagte der eine auf Französisch. »Lass ihm Zeit für ein letztes Gebet.«
»Warum denn?«, meinte der andere. »Tote Venezianer sind die besten Franzosen.« Er lachte über seinen eigenen Witz und holte in weitem Bogen mit dem Schwert aus, um Antonio den Kopf von den Schultern zu schlagen.
»Nicht«, zischte der Erste.
»Was?« Verärgert hielt der Soldat mitten in der Bewegung inne.
»Wie sieht es denn aus, wenn du einen unbewaffneten, wehrlos vor dir knienden Verlierer enthauptest?«
»Wen sollte das interessieren?«
»Vielleicht den da. Besser du wartest mit dem Köpfen, bis er außer Sicht ist.« Sein Kamerad deutete auf eine schwer bewaffnete Kavalkade, die sich um einen Reiter auf einem prachtvollen Rappen gruppierte und ihm einen Weg durch die Leichenberge bahnte. Den Kämpfern voran ritt ein Bannerträger, und er trug die Fahne des Hauses Valois.
»Man sagt, er sei noch ein echter Ritter«, fügte der Soldat hinzu. »Das muss wohl stimmen, denn sonst würde er nicht mit seinen Soldaten zu Felde ziehen.«
»Da soll mich doch einer«, sagte der andere verblüfft, während er eilig das Schwert in die Scheide schob und gemeinsam mit seinem Kameraden auf die Knie niedersank.
»Vive la France!«, riefen die beiden wie aus einem Mund. »Vive le Roi!«
Antonio spürte, wie ihm die Sinne schwanden, und obwohl bereits von allen Seiten die Dunkelheit an ihm zerrte, blieb ihm Zeit für einige sarkastische Gedanken. Der Franzosenkönig, dessen Kopf sich die Venezianer heute eigentlich hatten holen wollen, hatte ihm den seinen gerettet. Jedenfalls für den Moment.
Antonio wiederum kniete nun vor diesem König, unfreiwillig und eher zufällig, aber ganz so, wie es sich für einen Besiegten geziemte.
»Danke, Ludwig«, murmelte er. »Wie schön, dass du gerade jetzt des Weges kommst.«
Einer der beiden Soldaten, die vor ihm knieten, wandte ihm über die Schulter sein erbostes Gesicht zu. »Willst du wohl deinem König anständig huldigen?«
Antonio folgte dem Befehl auf seine Weise. Er verlor vollends den Halt und fiel bewusstlos mit dem Gesicht voran in den Staub.
Juni 1509
Laura beugte sich schwitzend über die Glasplatten, die sie auf dem Arbeitstisch sowie allen anderen verfügbaren Flächen, einschließlich der Küche und des Ladens, ausgelegt hatte. Sie befand sich in einer Art fortgesetztem Arbeitsrausch, und wenn jemand sie gefragt hätte, wie lange das nun schon ging, so hätte sie kaum eine Antwort gewusst. Es schien ihr fast, als habe sie nie etwas anderes getan, als Jasminessenz herzustellen. Das Verfahren, das sie dafür gewählt hatte, war im Vergleich zur Mazeration, dem Erhitzen der
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