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Die Landkarte der Liebe

Die Landkarte der Liebe

Titel: Die Landkarte der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Clarke
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hoher, klassizis­tischer Häuser mit ihren schwarzen, glänzenden Türen vorbei. Mia warf einige Münzen nach, sie fielen klimpernd an ihren Platz.
    Â»Ich hab dich immer nur beschützt«, sagte Katie. »Das ist doch meine Rolle. Ich spiele die ältere Schwester: vernünftig, beschützend, zuverlässig. Du, die Jüngere: wild, unabhängig, selbstsüchtig.«
    Â»Das ist doch Bullshit.«
    Â»Ach ja? Und wer hat die Verantwortung übernommen? Wer hat sich nach Mums Tod um alles gekümmert? Ich hab die Beerdigung organisiert, das Haus verkauft, uns eine Wohnung gesucht, dir zu einem Job verholfen.«
    Â»Du hast mich nicht beschützt«, sagte Mia. Der Zorn brannte in ihrer Kehle. »Du hast mich kontrolliert und eingeschränkt, mein Leben in ein kleines, handliches Format gepresst, damit es zu deinem passt.«
    Â»So also siehst du das?«
    Â»Und unter Beschützen versteh ich auch nicht, mir den besten Freund wegzunehmen.« Da war es gesagt, waren die Worte gezündet. »Warum er? Du hättest doch jeden haben können, warum Finn?«
    Katies Schritte hielten abrupt inne. Mia wartete mit angehaltenem Atem auf den großen Knall.
    Doch nichts geschah. Kein Krachen oder Zischen. Nur vier Wörter, schwach wie Rauch. »Ich habe ihn geliebt.«
    Geliebt? Mia wurde es schwindelig. Sie hielt sich mit einer feuchten Hand an der Telefonkonsole fest. »Nein.«
    Â»Ich hatte nicht vor, mich in ihn zu verlieben, aber dann ist es passiert. Ich habe ihn wirklich geliebt.«
    Mia biss sich innen auf die Wange, drückte die Zähne fest in das weiche Fleisch, bis sie den metallischen Geschmack von Blut wahrnahm.
    Â»Es war herzzerreißend, weil ich gesehen hab, was das mit dir gemacht hat. Du warst nur noch ein Schatten deiner selbst und kaum wiederzuerkennen. Und, liebe Güte, dann ist auch noch das mit Mum passiert. Dass sie krank war, war für alle hart, aber ich glaub, für dich besonders. Du hast damals weder Finn noch mich an dich herangelassen. Ich hab dein Leiden nicht mitan­sehen können. Was hätte ich denn tun sollen? Mir blieb doch keine Wahl: Ich musste ihn gehen lassen. Ich habe es für dich getan, Mia, weil ich dich beschützen wollte.« Katie machte eine Pause. »Und ich musste dich auch vor der Wahrheit über Mums Tod beschützen.«
    Â»Wovon redest du?« Doch noch während Mia die Worte sagte, kroch ihr etwas Kaltes über die Haut.
    Â»An dem Morgen – als sie im Sterben lag – hab ich vier Mal bei dir angerufen und dir die Nachricht hinterlassen, dass du kommen und dich verabschieden solltest.«
    Â»Ich hatte mein –«
    Â»Handy verloren. Ja, das kenn ich schon. Hör doch auf, Mia. Das Spiel hatten wir bereits.«
    Der Hörer brannte sich in Mias Ohr. Am liebsten hätte sie ihn mit bloßen Händen aus seiner Verankerung gerissen und weit von sich geschleudert.
    Â»Du bist nicht gekommen, weil du Mums Sterben nicht ertragen konntest. Das war mir klar, aber ich hab trotzdem immer wieder angerufen, damit du nicht irgendwann bereust, dass du nicht noch einmal bei ihr warst.«
    Mia war den ganzen Morgen lang über den Strand von Porthcray geirrt; das Handy hatte unter ihrer Fleecejacke gewimmert. Eine Woche Südwestwind hatte bergeweise Tang an Land gespült, der verrottete. Schwefelgestank hatte in der Luft gelegen. Dort war Mia entlanggegangen, hatte jede einzelne von Katies Nachrichten abgehört und gewusst, dass ihre Mutter nur drei Meilen entfernt, im Haus ihrer Kindheit, im Sterben lag: ihre Mutter, die ihr gesagt hatte, dass ihre Augen wie Smaragde funkelten, die eine Geschichte über einen Schneeleoparden aufbewahrt hatte, die Mia mit sechs Jahren geschrieben hatte, die Mia versichert hatte, dass es ihr egal sei, was sie mit ihrem Leben machte, solange sie nur glücklich war. Sie durfte nicht sterben.
    Weiter oben am Strand hatte Mia einen glatten weißen Stein, so groß wie eine Muschel, aufgehoben und mit sich vereinbart, wenn er sechs Mal springen würde, würde sie zu ihrer Mutter gehen. Sie hatte ausgeholt – der Stein war wie ein munterer Fisch über das Wasser gehüpft, sauber, entschieden und sechs Mal. Sie hatte sich daraufhin in Richtung Auto aufgemacht und war auf halber Strecke stehen geblieben. Die Beine hatten ihr den Dienst verweigert. Und so hatte sie sich wieder gebückt und einen neuen Stein im Sand gesucht.

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