Die Landkarte der Liebe
fest davon überzeugt, wenn ihr das nicht gelungen wäre, wäre ich ertrunken. Ich weià nur noch, dass ich irgendwann auf dem Brett gelegen und mich daran festgeklammert hab. Und Mia hat zu mir gesagt: âºDas war nur die Strömung. Da muss man quer durchschwimmen.â¹ Das war eine der ersten Regeln, die sie von mir gelernt hatte.«
Katie seufzte. »Ich hab ihr nie gedankt. Vielleicht schämte ich mich für meine Schwäche, keine Ahnung. Aber seither hab ich das Meer, den Strand und auch Mia gemieden. Ich kann es nicht genau erklären, aber es war, als ob sich das Kräfteverhältnis zwischen uns verschoben hätte. Eine Woche später ist Mia aufs Gymnasium gekommen. An ihrem ersten Tag, im Schulbus, hab ich mich nicht mal neben sie gesetzt.« Sie sah Finn tief in die Augen. »Du hast den leeren Platz an ihrer Seite eingenommen. WeiÃt du noch?«
Er nickte.
»Ihr wart von dem Moment an unzertrennlich, als du in den Bus gestiegen bist. Ich hab es gleich gesehen. Von da an hat sie mich nicht mehr gebraucht.«
»O doch, das hat sie. Sie hat immer zu dir aufgesehen.«
Katie lachte. »Ich war doch die SpieÃige, ging immer auf Nummer sicher â du erinnerst dich?«
»Das redest du dir ein, aber ich sehe etwas anderes. In deinen Augen war Mia immer die Furchtlose und Mutige â aber schau dich doch an! Du reist ganz allein um die Welt. Und du bist von zu Hause weggegangen und hast dir ein Leben in London aufgebaut. Mia ist in Cornwall geblieben. Ihr wart gar nicht so verschieden, wie du glaubst.«
Katie atmete tief ein. »Wir waren furchtbar zueinander.«
»Ihr wart Schwestern.«
Wart . Die Vergangenheitsform brachte alles zum Stillstand. Sie würde niemals wieder Mias Schwester sein.
Niemals.
Niemals wieder würde sie mit Mia barfuà durch das Wohnzimmer tanzen. Niemals wieder würde sie neben ihr in den Wellen treiben und auf den Gesang der Meerjungfrauen lauschen. Niemals wieder würde sie Mia in den Armen halten und ihren warmen Jasminduft einatmen. Mit Mia hatte sie einen Teil von sich verloren.
»Ich hab immer geglaubt, im Laufe der Zeit ⦠Ich hab immer geglaubt, mit den Jahren würde sich unser Verhältnis entspannen. Ich hatte sogar die alberne Vorstellung, dass wir eines Tages beide zurück nach Cornwall gehen und nahe beieinander leben würden. Ich hab sogar davon geträumt, gemeinsam unsere Kinder groÃzuziehen. Mia wollte zwar angeblich keine, aber ich hab sie immer mit drei wilden, schwarzhaarigen Kindern vor mir gesehen, die barfuà in ihrem Haus herumtoben.« Sie machte eine Pause, bis sich der harte Kloà in ihrer Kehle ein wenig löste. »Wir haben so viel Zeit verschwendet.«
Nun, am Ende von Mias Tagebuch, gab es keinen Weg mehr zu beschreiten. Jetzt lag es an Katie, zu entscheiden, was geschehen war. Das Wort »Selbstmord« war die ganze Zeit wie eine hässÂliche Motte durch ihren Kopf geflattert, und immer wieder hatte sie es fortgescheucht. Nun breitete es die staubigen Flügel aus und lieà sich sanft auf ihrem Herzen nieder. Wenn sie so fest davon überzeugt gewesen wäre, dass Mia nicht gesprungen war, hätte sie dann nicht das Konsulat zu weiteren Untersuchungen drängen müssen? Hätte sie dann nicht jede Information und jeden Kontakt heranziehen müssen, um herauszufinden, was wirklich in der Nacht geschehen war? Vielleicht hatte sie nichts von alledem getan, weil ein Teil von ihr den Selbstmord ihrer Schwester als eine denkbare Möglichkeit gesehen hatte.
»Finn, du musst mir etwas sagen. Ich hab dich das bisher noch nicht gefragt, jetzt aber muss es sein. Und ich brauch eine aufrichtige Antwort.« Sie holte Luft. »Glaubst du, dass Mia Selbstmord begangen hat?«
»Wir können beide nicht mit Sicherheit behaupten â«
»Aber wir haben beide eine Meinung. Und deine muss ich hören. Du bist mit ihr gereist. Du hast sie verstanden. Du warst ihr bester Freund. Ich muss wissen, ob du glaubst, dass Mia sich getötet hat.«
Finn stand auf und ging zum Balkon.
Katie legte das Tagebuch beiseite und folgte ihm. Der Mond schien hell vom Himmel und tauchte die Welt in sein silbern- kühles Licht. Der Wind war stärker geworden. Katie schlang die Arme um sich.
Finn schob die Hände tief in seine Taschen. »Willst du das wirklich wissen?«
»Ich muss.«
»Als ich von ihrem Tod erfahren hab,
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